Europa streitet um sein Wasser

BRÜSSEL · Es ist der Kampf um ein Lebenselixier: Wasser. Und er spitzt sich zu. Spätestens im Februar wird das Europäische Parlament entscheiden, ob der umstrittene Vorstoß der EU-Kommission Wirklichkeit wird: die weitgehende Privatisierung der Wasserversorgung für 500 Millionen Bürger.

 Kostbares Gut: Für private Investoren ist Wasser ein lukrativer Markt. Kritiker einer Privatisierung fürchten steigende Preise.

Kostbares Gut: Für private Investoren ist Wasser ein lukrativer Markt. Kritiker einer Privatisierung fürchten steigende Preise.

Foto: dpa

Im Internet kursieren bereits Unterschriftenlisten, um ein europäisches Volksbegehren gegen die neue Konzessions-Richtlinie anzustoßen, die Binnenmarkt-Kommissar Michel Barnier vorgelegt hat. Selbst Münchens Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) schimpft: "Es ist wirklich bedauerlich, dass mancher Kommissar nur noch die Bedürfnisse seiner Gesprächspartner aus den Konzern-Etagen kennt und nicht die Bedürfnisse der Bevölkerung."

Die fürchtet nämlich vor allem steigende Preise. Für private Investoren ist Wasser ein Spekulationsobjekt wie Gold oder Strom. Auf dreistellige Milliardenhöhe schätzen Analysten den Wassermarkt in der EU. Großkonzerne warten nur darauf, dass die Privatisierung endlich losgehen kann - und zwar im großen Stil.

Mit der Barnier-Richtlinie wäre dies, so befürchten viele Stadtväter, möglich. Denn sie könnte die Kommunen und Landkreise zwingen, Aufträge zur Wasserversorgung europaweit auszuschreiben. Die vielen Stadtwerke-Betriebe hätten dabei das Nachsehen. Drastische Preiserhöhungen wären möglicherweise die Folge.

Ob das Schreckensszenario eintritt, ist ungewiss. Kerstin Westphal, Fachfrau der sozialdemokratischen Europa-Fraktion, sagt jedenfalls: "Finger weg vom Wasser. Bei der Privatisierung muss die Versorgung ebenso außen vorbleiben wie beispielsweise die Rettungsdienste." Solch kommunale Daseinsvorsorge sollte "tabu" sein. Deshalb werde man sich auch nicht auf die in der jetzigen Vorlage enthaltenen Übergangsfristen bis 2020 einlassen. "Danach wären alle Türen offen", sagt Westphal. Und sie weiß: "EU-Konzerne aus anderen Ländern stehen schon bereit."

Andreas Schwab, der zuständige CDU-Fachmann im Parlament, beruhigt dagegen: "Die Richtlinie lässt kommunale Eigenbetriebe vollkommen unangetastet." Solange beispielsweise Stadtwerke zu 80 Prozent auf dem Gebiet der eigenen Kommune tätig sind, muss auch künftig nicht EU-weit ausgeschrieben werden. Das gelte sogar dann, wenn die städtische Tochter einen privaten Partner habe. Eine Kommune, die mit 50 Prozent plus einer Stimme an dem Wasserversorger beteiligt sei, könne auch künftig Konzessionen an eigene Tochter-Unternehmen ohne europäische Konkurrenz vergeben. Schwab: "Ich finde das eine großzügige Regelung."

Diese unterscheidet sich nur marginal von der heutigen Situation. Städte und Landkreise dürfen private Unternehmen mit der Wasserversorgung beauftragen, wenn sie denn wollen. Allerdings haben die, die den Schritt wagten, nur in wenigen Fällen erquickliche Erfahrungen gemacht. Die Bundeshauptstadt Berlin beauftragte 1999 einen privaten Unternehmer mit der Bereitstellung von Wasser und versucht inzwischen alles, um die Privatisierung wieder rückgängig zu machen. Griechenland hat im gleichen Jahr (also lange vor dem Eintreffen der Troika) seine Leitungen für private Unternehmen geöffnet und zahlt inzwischen kräftig drauf. London geht es nicht anders.

Kritiker des Brüsseler Vorhabens fürchten nun, dass die heutige Situation von der Kommission verschärft und durch doppeldeutige Formulierungen in der Richtlinie am Ende ein Zwang zur Privatisierung herbeigeführt werden soll - auch um den großen Versorger-Konzernen eine neue Spielwiese zu schaffen. Kommissar Barnier begründet die Reform dagegen mit dem Hinweis, man müsse "für den, der privatisieren will, klare Regeln schaffen".

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