NRW-Innenminister Ralf Jäger "Es ist wichtig, auch Fehler einzugestehen"

NRW-Innenminister Ralf Jäger sprach im GA-Interview über den Einsatz gegen Salafisten in Bonn, Gründe für die Zunahme von Einbrüchen und die NPD.

 "Die Ausstattung und die Bezahlung der NRW-Polizei sind spitze", sagt Innenminister Ralf Jäger beim Redaktionsbesuch.

"Die Ausstattung und die Bezahlung der NRW-Polizei sind spitze", sagt Innenminister Ralf Jäger beim Redaktionsbesuch.

Foto: Horst Müller

Zwölf Prozent mehr Einbrüche im ersten Halbjahr. Kann der Innenminister des Landes noch ruhig schlafen?
Jäger: Das kann ich schon, aber dieses Thema hat für mich hohe Priorität. Es handelt sich um ein bundesweites Phänomen, das sehr viel mit der Süd-Ost-Erweiterung der EU zu tun hat. Das muss man klar formulieren.

Organisierte Kriminalität?
Jäger: Die Zunahme geht im Wesentlichen zurück auf organisierte bandenmäßige Kriminalität. Am stärksten betroffen sind die Regionen, die nahe an Autobahnen liegen. Die Täter nehmen für geringe Beute große Risiken in Kauf, verkaufen sie nicht mehr im Second-hand-Laden um die Ecke sondern auch in Osteuropa. Man kommt nur schwer an sie ran, deshalb ist die Aufklärung auch sehr viel schwieriger.

Wo kommen die Täter her?
Jäger: Viele kommen aus Rumänien, wie die Polizei feststellt. Die Täter können visafrei einreisen, das ist Teil einer Armutswanderung. Die leben in bitterärmsten Verhältnissen und die Integrationszahlungen der EU kommen dort nicht an - jedenfalls nicht in vollem Umfang. Das ist die sozialpolitische Realität, das hat damit zu tun, dass diese Länder zu schnell der EU beigetreten sind. Das ist die Kehrseite der Erweiterung, von der wir wirtschaftlich profitieren.

Was tun Sie hier gegen diese Kriminalität?
Jäger: Da gibt es vor allem unsere Kampagne "Riegel vor". Die Polizei hat vor mehr als einem Jahr ein landesweites Aktionsprogramm gestartet. Bisher wurden mehr als 40 Ermittlungskommissionen eingerichtet. Dadurch konnten mehr Täter gefasst werden.

Greift die Kampagne denn? Seit es sie gibt, steigen die Zahlen.
Jäger: Umgekehrt wird ein Schuh draus. Wo wären die Zahlen, wenn es die Kampagne nicht gäbe? Wir bekommen wenigstens den Zuwachs gebremst.

Wie lautet der ultimative Tipp des Innenministers zum Schutz vor Einbruch?
Jäger: Ja wirklich: Riegel vor. 40 Prozent der Einbrüche werden dann erfolglos abgebrochen, weil die Täter keine Zeit mehr haben. Ich hab selbst mal so´n Fenster aufgebrochen...

Ach?
Jäger: In einer Polizeidienststelle...

Noch schlimmer...
Jäger: Wenn man weiß, wo man ansetzen muss, dauert´s fünf Sekunden. Mit Riegel, fachlich: mit der Widerstandsklasse zwei, verlängert sich der Einbruchsversuch mindestens um 35, 40 Sekunden. Das ist einem Einbrecher schon zu viel.

Und vielen Hausbesitzern zu teuer...
Jäger: Stimmt nicht. Wenn man neu baut, kostet das pro Fenster vielleicht 20 Euro mehr. Aber selbst die Nachrüstung ist bezahlbar.

Wer gibt konkrete Auskunft?
Jäger: Die Vorbeugungskommissariate der Polizei. Deren Beamte kommen auch nach Hause und geben ganz konkrete Hinweise. Kostenlos.

Muss ein Innenminister ein Law-and-Order-Mann sein?
Jäger: Ich habe ein sehr ausgeprägtes Unrechtsbewusstsein. Und es ist meine Aufgabe als Innenminister dafür zu sorgen, dass es in unserer Gesellschaft möglichst gerecht zugeht. Dabei gehe ich konsequent vor, aber ich bin kein Sheriff. Kriminalität lässt sich nur mit sachlicher, professioneller Arbeit erfolgreich bekämpfen.

Es ist schon auffällig, dass Sie in den letzten Monaten, was Neonazis und Rockerbanden, Rechtsextremisten und Salafisten angeht, besonders aktiv waren.
Jäger: Haben Sie was dagegen?

Nein, wir fragen uns nur, ob Sie in letzter Zeit eine andere Linie fahren?
Jäger: Nein. Aber alles, was wir gemacht haben, brauchte eine monatelange Vorbereitung. Wir haben etwa beim Verbot der drei Neonazi-Kameradschaften den Gerichten 156 Durchsuchungsbegehren vorgelegt.

Bei der NPD hat man den Eindruck: Das wird nichts mehr mit dem Verbot...
Jäger: Ich habe da einen anderen Eindruck. Nichts würde die NPD mehr adeln als das zweite Scheitern eines Verbotsverfahrens. Also müssen wir die Risiken minimieren und die Erfolgsaussichten sorgfältig prüfen. Die NPD bereitet den Boden für braune Gewalt, ihre Ideologie ist menschenverachtend, fremdenfeindlich und antidemokratisch. Es kommt aber darauf an, den Nachweis der aggressiv-kämpferischen Haltung zu führen. Am Ende muss politisch entschieden werden. Das wird bis zur Innenministerkonferenz Anfang Dezember geschehen.

Wenn es eben geht, dann machen?
Jäger: Ja, das ist mein Ziel.

Sehen die anderen Innenminister das auch so?
Jäger: Das geht querbeet. Wenn Sie in Ostdeutschland Innenminister sind, haben sie zur Frage eines NPD-Verbots eine ganz andere Haltung als im Westen. Im Osten gibt es ganze Landstriche, wo die NPD das gesellschaftliche Leben sichtbar prägt. Wichtig wäre mir übrigens, dass alle drei Verfassungsinstitutionen zusammen, Bundesregierung, Bundestag, Bundesrat, den Verbotsweg beschreiten.

Ist der Verfassungsschutz in seiner jetzigen Verfassung überhaupt arbeitsfähig?
Jäger: Eindeutig ja, aber er muss besser werden. Er muss gesellschaftliche Veränderungen aufnehmen und sich reformieren. Die Sicherheitsbehörden hätten - beim Thema NSU - besser zusammenarbeiten müssen. Bisher lautete die Frage: Muss der andere das wissen? Die Auffassung war nicht, möglichst alle Informationen zu teilen. Diesen Mentalitätswandel haben wir jetzt in der Innenministerkonferenz initiiert. Und: Der Verfassungsschutz beobachtet verstärkt extremistische Aktivitäten im Internet. Wir stellen etwa beim Salafismus fest, dass Absprachen immer häufiger über das Internet erfolgen.

Ist der technische Standard bei Polizei und Verfassungsschutz mittlerweile konkurrenzfähig mit jenen, die man im Visier hat?
Jäger: Die Ausstattung und die Bezahlung der NRW-Polizei sind spitze in der Republik.

Die personelle Situation ist aber nicht so gut.
Jäger: Wir knabbern da an den Sünden der Vergangenheit. Als ich 2010 Innenminister wurde, haben wir die Einstellungszahl sofort auf 1400 pro Jahr erhöht. Damit schöpfen wir unsere Ausbildungs- kapazitäten voll aus. Derzeit wächst die Polizei, denn wir stellen mehr ein als pensioniert werden.

Das bleibt aber nicht so.
Jäger: Ehrlicherweise müssen wir sagen, wir futtern uns jetzt das Fett an, das wir später wieder abhungern müssen. Ab 2017 kommen die großen Pensionierungswellen.

Was heißt das?
Jäger: Wir müssen die Polizei bis dahin so modernisieren, dass in den Kernbereichen wie Wach- und Wechseldiensten sowie Ermittlungstätigkeiten im Bereich Kriminalität kein Personalabbau stattfindet. Da wollen wir die Qualität für die Bürgerinnen und Bürger halten.

Machen wir es mal konkret. Wie sieht das in Bonn aus? Jeder Zweite der Beamten ist über 50.
Jäger: Damit ist die Bonner Behörde aber nicht mal die im Schnitt älteste.

Wo gibt es denn noch ältere Beamte?
Jäger: In Kreispolizeibehörden in mehreren ländlichen Regionen. Das sind sogenannte Endverwendungsbehörden. Ein furchtbares Wort.

Was ist denn damit gemeint?
Jäger: Viele Polizisten wohnen im ländlichen Raum, haben sich dort ein Haus gebaut und wollen auch nicht wieder weg.

Was wollen Sie denn in Bonn tun?
Jäger: Allein in diesem Jahr hat die Bonner Polizeibehörde 47 Polizisten erhalten. Davon waren 30 jünger als 30 Jahre. Im Übrigen hat Bonn im vorigen Jahr zehn Stellen zur Bekämpfung des Islamismus zusätzlich bekommen.

Bonn gilt als Salafistenhochburg. Viele Bürger machen sich Sorgen. Ist die Situation unter Kontrolle?
Jäger: Der Salafismus wird uns in Deutschland noch ziemliche Probleme bereiten. Zum einen: Alle bisherigen acht Terroranschlagsversuche in Deutschland und der durchgeführte Anschlag eines Einzeltäters am Flughafen Frankfurt haben einen Bezug zur salafistischen Szene gehabt. Und zum zweiten: Diese Szene ist die am dynamischsten wachsende Bewegung im extremistischen Islamismus. Sie versucht, vor allem junge Männer in ihren Bann zu ziehen.

Wo kommt das Interesse her?
Jäger: Wenn junge Männer in Lebenskrisen sind und ein Rechtsradikaler kommt, werden sie rechtsradikal, wenn ein Linksextremer kommt, werden sie linksextrem, kommt ein Salafist, konvertieren sie zum Islam und kommt Horst Hrubesch, spielen sie mit Begeisterung Fußball.

Aber warum wenden sich junge Männer dem Salafismus zu?
Jäger: Sie glauben, über diese Ideologie vermeintlich einfache Antworten auf alle schwierigen Fragen des Lebens zu finden. Sie sind dann oft besonders fanatisch. Manchmal sind sie innerhalb weniger Monate so radikalisiert - meistens über das Internet - dass man sie kaum noch aus der Szene rauskriegt. Derzeit haben wir 4000 radikale Salafisten in Deutschland. Das macht mir persönlich Sorgen.

Wie hoch ist denn die Dunkelziffer in dem Bereich?
Jäger: Da ist sehr viel mehr im Hellfeld, weil die sehr ambitioniert mit ihrer Ideologie nach außen gehen.

Man hatte den Eindruck, dass die Beamten etwa beim Einsatz am 5. Mai in Bonn überfordert waren.
Jäger: Die Gewalttätigkeiten der Salafisten hatten eine neue Dimension. Das hatte die Bonner Polizei falsch eingeschätzt. Sie hat das ja auch eingeräumt. Es ist wichtig für die Kultur der Polizei, auch mal Fehler einzugestehen. Am vorigen Samstag hat man gesehen, dass die Polizei aus Fehlern gelernt hat.

Besteht nicht die Gefahr, dass über die Aktionen in Sachen Verbotsverfahren oder Salafisten der ganz normale Handtaschenraub nicht mehr aufgenommen wird?
Jäger: Wir haben 17 Prozent weniger an Handtaschendelikten. Gleichwohl ist klar: Wir müssen uns auf alle Phänomene gleichermaßen konzentrieren. Früher hatten wir den Betrug an der Haustür, heute haben wir den Betrug bei Ebay. Darauf muss die Polizei reagieren.

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