Türkei und Deutschland Erdogan mischt sich in Bundestagswahl ein

Istanbul · Der türkische Präsident ruft die Deutschtürken dazu auf, CDU, SPD und Grüne bei der Bundestagswahl abzustrafen: „Das sind alles Feinde der Türkei“.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan mischt sich mit einer offenen Wahlempfehlung an die Deutschtürken offen in die anstehende Bundestagswahl ein. Die rund eine Million türkischstämmigen Wähler in Deutschland sollten weder für die CDU noch für die SPD oder die Grünen votieren, sagte Erdogan am Freitag. Diese Parteien seien „Feinde der Türkei“. Es sei „eine Ehrensache“ für Deutschtürken, diese Parteien abzustrafen. Damit facht Erdogan den seit Monaten anhaltenden Streit zwischen Ankara und Berlin weiter an.

Das deutsch-türkische Verhältnis ist unter anderem durch die Inhaftierung von Bundesbürgern in der Türkei belastet; zuletzt wurde eine deutsch-türkische Anwältin in der Türkei in Polizeigewahrsam genommen, womit die Zahl der inhaftierten Deutschen auf zehn gestiegen ist. Berlin vermutet, dass Ankara die Deutschen als Geiseln benutzen will, um die Bundesregierung zur Auslieferung von mutmaßlichen Anhängern des Erdogan-Erzfeindes Fethullah Gülen zu bewegen. Die Türkei kritisiert, Deutschland gewähre ranghohen Gülen-Anhängern seit dem Putschversuch gegen Erdogan im vergangenen Jahr Zuflucht.

Reisewarnung wurde verschärft

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte in den vergangenen Tagen neuen Ärger der türkischen Regierung auf sich gezogen, indem sie eine Erweiterung der Zollunion zwischen der EU und der Türkei wegen der Inhaftierung der Bundesbürger ablehnte. Die Bundesregierung hat zudem ihre Reisewarnungen hinsichtlich der Türkei verschärft.

Erdogan sagte nach dem Freitagsgebet in Istanbul, Deutschland allein sei für die Spannungen im bilateralen Verhältnis verantwortlich. CDU und SPD gingen mit türkeifeindlichen Positionen auf Stimmenfang, kritisierte der Staatschef laut der amtlichen Nachrichtenagentur Anadolu. „Ich sage all unseren Landsleuten in Deutschland: Macht keinen Fehler, unterstützt die nicht. Ob es jetzt die Christdemokraten, die SPD oder die Grünen sind – das sind alles Feinde der Türkei.“ Die türkischstämmigen Wähler sollten diesen Parteien bei der Bundestagswahl „die nötige Lektion erteilen“.

Stimmen könnten von Bedeutung sein

Mit seinem Appell könnte Erdogan allerdings ungewollt der Kanzlerin helfen. Untersuchungen zufolge wählen die meisten türkischstämmigen Bundesbürger mehrheitlich die SPD; die Union liegt bei dieser Wählergruppe bei einer Zustimmungsrate von unter zehn Prozent. Angesichts von mehr als 61 Millionen Wahlberechtigen in der Bundesrepublik fallen die mehr als eine Million türkischstämmigen Wähler nicht sehr ins Gewicht. Allerdings könnten ihre Stimmen bei einem knappen Wahlausgang von Bedeutung sein.

Wahlempfehlungen der Türkei an die Deutschtürken hatte es in der Vergangenheit bereits gegeben. Die türkischen Regierungen mussten sich bei den Appellen an die Loyalität der Deutschtürken der Türkei gegenüber den Vorwurf gefallen lassen, die türkischstämmigen Bundesbürger für türkische Interessen vereinnahmen zu wollen.

Erdogan feuert weiter gegen die EU

Weitere Spannungen im Verhältnis zwischen den beiden Ländern sind zu erwarten. Am kommenden Dienstag will der deutsche Botschafter in Ankara, Martin Erdmann, den deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel im Gefängnis besuchen. Am Mittwoch wird Erdmann bei dem ebenfalls inhaftierten deutschen Menschenrechtler Peter Steudtner erwartet. Am Dienstag steht zudem ein Haftprüfungstermin für die seit April einsitzende türkischstämmige deutsche Journalistin und Übersetzerin Mesale Tolu an, der Terrorpropaganda vorgeworfen wird. Laut dem Auswärtigen Amt ist in den vergangenen Tagen auch eine deutsch-türkische Juristin wegen politischer Vorwürfe in Polizeihaft genommen worden.

In seinen Äußerungen am Freitag erneuerte Erdogan auch seine Kritik an der EU, die ihre Zusagen beim Flüchtlingsabkommen und in Sachen Visafreiheit nicht eingehalten habe. Die Türkei liegt nicht nur mit Deutschland – ihrem wichtigsten Handelspartner – im Streit, sondern auch mit den USA. Die Beziehungen zu wichtigen Nahost-Staaten wie Saudi-Arabien befinden sich ebenfalls in einer Krise. Kritiker werfen dem Präsidenten vor, die Türkei außenpolitisch weitgehend isoliert zu haben.

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