Geiselnahme der Taliban Entwicklungshelfer frei

DELHI · Mit kurzgeschorenen Haaren, kurzem Bart und freudestrahlend zeigte sich der Deutsche Stefan E. nach seiner Freilassung am Donnerstag im Kreise mehrerer Polizisten eines Dorfpostens nahe der nordafghanischen Stadt Kunduz.

Der Mitarbeiter der staatlichen deutschen Entwicklungshilfeorganisation GIZ war Mitte April in der seit langem von Krieg geprägten Gegend inmitten einer äußerst brisanten Gemengelage in die Hände radikalislamischer Talibanmilizen geraten.

Seine Freilassung verdankt er den Bemühungen von Stammesältesten im Distrikt Chahar Dara, in dem die Taliban bereits zu Zeiten der Bundeswehrstationierung in Kunduz aktiv waren. Offiziell heißt es, der Deutsche sei bei einem Polizeieinsatz gerettet worden. Nach der Erfahrung vergangener Jahre ist aber anzunehmen, dass Lösegeld gezahlt wurde und möglicherweise auch Gefangene der afghanischen Regierung freikamen.

"In allen den Jahren konnte bislang keine einzige Geisel in den Händen der Taliban fliehen", erklärte ein Kenner der Milizen. Auch zwei Schweizer Touristen, die vor Jahren im pakistanischen Badakhshan entführt wurden, kamen erst nach Lösegeld und der Freilassung eines Dutzends Gefangener wieder frei.

Stefan E. war Mitte April in die Hände der Talibanmilizen gefallen, als der Schwerpunkt des Konflikts sich vom Süden Afghanistans in den Norden und Nordosten des Landes südlich von Tadschikistan verschob. Der Grund: Nach einer Anti-Taliban-Offensive des pakistanischen Militärs in der Extremistenhochburg Waziristan flohen überwiegend zentralasiatische Kämpfer aus Usbekistan samt ihren Familien in die Region.

Es kam zu heftigen Zusammenstößen zwischen ihnen und Kabuls Militär. Präsident Ashraf Ghani musste wegen der Kämpfe gar eine geplante Reise nach Indien verschieben. Kabuls Behörden fielen Frauen und Kinder der "Heiligen Krieger" in die Hände. Die Extremisten wiederum, die sich in afghanischen Dörfern als Angehörige von Daesh, so die arabische Abkürzung für die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS), ausgaben, entführten Mitglieder der schiitischen Hazara-Minderheit. Kabul und die Extremisten einigten sich schließlich auf einen Austausch.

Aber GIZ-Mitarbeiter Stefan E. kam zunächst nicht frei. Experten fürchteten bereits, dass ihm ebenso eine jahrelange Geiselhaft bevorstehen könnte wie einem Mitarbeiter der deutschen Welthungerhilfe in Pakistan. Der Deutsche war im Jahr 2012 in der pakistanischen Stadt Multan entführt worden und wurde 2014 gegen Lösegeld freigelassen. Sein ebenfalls entführter italienischer Welthungerhilfekollege Giovani Lo Porto kam gemeinsam mit einer anderen Geisel um Leben, als eine vom US-Geheimdienst CIA gelenkte Drohne den Unterschlupf bombardierte, in dem sie von der Terrororganisation Al-Kaida festgehalten wurden.

Einem ähnlichen Schicksal entging Stefan E. dank den Bemühungen der Stammesältesten. Sein staatlicher Arbeitgeber GIZ steht nun vor der Frage, in welchem Ausmaß Aktivitäten in dem Gebiet um Kunduz fortgesetzt werden können. Seit dem weitgehenden Abzug der Bundeswehr und anderer Nato-Streitkräfte gilt Kunduz wieder als eine der gefährlichsten Regionen Afghanistans. Die Lage ist so angespannt, dass Kabul sogar begonnen hat, die Milizen unberechenbarer Kriegsfürsten erneut zu bewaffnen.

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