NACH DEN WAHLEN IN DEN USA Entscheidung für Jahrzehnte

Washington · Mit Donald Trump als Präsident wird die Zukunft des Obersten Gerichtshofes auf Jahre streng konservativ ausgerichtet. Dort bahnt sich ein Generationswechsel an.

 Der Sitz des Obersten Gerichtshofes der USA in Washington. Hier werden politische Weichen gestellt.

Der Sitz des Obersten Gerichtshofes der USA in Washington. Hier werden politische Weichen gestellt.

Foto: dpa

Von unserem Korrespondenten

2024 ist Donald Trump eine Fußnote der Geschichte. Vorausgesetzt, er schafft in vier Jahren die Wiederwahl. Die wichtigsten Personalentscheidungen seiner ersten Amtszeit werden dagegen Jahrzehnte nachwirken: die auf Lebenszeit berufenen Frauen und Männer am Obersten Gerichtshof in Washington. Dort bahnt sich ein Generationswechsel an. Und die politische Richtung heißt: streng konservativ.

Seit dem Tod des von Ronald Reagan ernannten und 30 Jahre lang im Geiste der Erzkonservativen tätig gewesenen Antonin Scalia im Februar herrscht am „Supreme Court“ eine 4:4-Patt-Situation. Zentrale Vorhaben, etwa der „Clean Power Plan“ des scheidenden Präsidenten Obama, der das Aus für ältere Kohlekraftwerke beschleunigen soll, liegen auf Eis, weil die Republikaner mit ihrer Verhinderungsmehrheit im Senat den von Obama nominierten Scalia-Nachfolger Merrick Garland kategorisch ablehnen. Andere Themen sind gescheitert, weil die Unentschiedenheit des Gerichts dazu führt, dass Urteile untergeordneter Instanzen Bestand haben. So kam Obamas Versuch zum Stillstand, Millionen illegale Einwanderer ohne Aufenthaltstitel aus Latein-Amerika vor der Abschiebung zu schützen.

Die vier als gemäßigt-liberal geltenden Juristen Elena Kagan, Sonia Sotomayor, Ruth Bader Ginsburg und Stephen Breyer stehen den vier in der Regel konservativ abstimmenden Kollegen Samuel Alito, Clarence Thomas, John Roberts und Anthony Kennedy in fachlichem Disput gegenüber. „Ein Unentschieden, das der Zukunft des Landes nicht guttut“, urteilen Kommentatoren in Washington.

Harter Kurs

Mit dem Sieg von Donald Trump ist beim Scalia-Ersatz ein Weg vorgezeichnet, der das Gericht bei gesellschaftlich kontroversen Themen auf einen harten Mitte-Rechts-Kurs führen wird. Ein Albtraum für das liberale Amerika, das auf eine Einschränkung des Rechts auf Waffenbesitz gehofft hatte. Hillary Clinton, die Wahlverliererin, hatte mehrfach erklärt, dass sie die jährlich 30 000 Schusswaffen-Toten nicht länger hinnehmen will. Die Verfügbarkeit von Pistolen und Gewehren sollte strengeren Kontrollen unterworfen sein. Donald Trump ist strikt dagegen. Darum unterstützte ihn die Waffenlobby NRA. Donald Trump hat gewonnen. Er wird einen Richter benennen, der republikanische Wertvorstellungen durchsetzt.

Um seine Entschlossenheit zu demonstrieren, hatte der Bauunternehmer bereits im Sommer die Namen von 20 erzkonservativen Juristen veröffentlicht. Aus ihren Reihen wollte er „im Sinne der Gründerväter der Verfassung“ die Richterbank auffüllen lassen. Trump schärfte seinen Anhängern auf der Zielgeraden des Wahlkampfs Tag für Tag ein: „Amerikas Schicksal entscheidet sich am Supreme Court. Geht wählen!“

Für die nächsten 50 Jahre

Übertrieben? Nein. Vor allem, wenn man berücksichtigt, dass drei Richter (Ruth Bader Ginsburg, Anthony Kennedy und Stephen Breyer) Ende 70 oder deutlich über 80 Jahre alt sind. Ihr Tod oder ein freiwilliges Abtreten in den Ruhestand ist eine „reale Möglichkeit, mit der gerechnet werden muss“, sagt der CNN-Gerichtsexperte Jeffrey Tobin. Werden demnächst in kurzer Zeit mehrere Nachbesetzungen fällig, kann Trump die Richtung des Supreme Court sogar „für die nächsten 50 Jahre prägen“, schreiben Rechtsgelehrte.

Heißt theoretisch: Selbst wenn sich ein republikanischer Präsident mit einem demokratisch beherrschten Kongress im Dauerclinch befindet, würde das Oberste Gericht im Sinne der dort versammelten rechtskonservativen Mehrheit einsam seine Bahnen ziehen. Und niemand könnte daran etwas ändern.

Auch darum hatte die 83-jährige Bader Ginsburg, Vorreiterin der Liberalen, vor der Wahl in einem Akt ungewöhnlicher Parteinahme ihre Präferenz für Hillary Clinton zum Ausdruck gebracht. Bekäme Trump die Personalhoheit, sagte sie, stünde „alles zur Disposition“. Trump nannte die alte Dame daraufhin eine „Blamage“.

Das Abtreibungsrecht in Gefahr

Trump erwartet (nach Ernennung neuer Richter) das Kippen der historischen Abtreibungsentscheidung von 1973 (Roe gegen Wade). Für die in christlich-evangelikalen Kreisen in den Südstaaten und im Mittleren Westen abgelehnten Schwangerschaftsabbrüche wären dann wieder allein die Bundesstaaten zuständig. Ein Flickenteppich wäre die Folge. Für das Gros der Demokraten und – laut Umfragen – für Millionen Frauen ein „Rückfall in die Steinzeit“. Und ein Bruch mit der Tradition. Als der Republikaner George W. Bush, ein gottesfürchtiger Mann, 2000 Präsident wurde, schloss er kategorisch aus, das Abtreibungsrecht auszuhöhlen.

Mittels Personalpolitik die Dominanz gemäßigter oder streng konservativer Urteile am Supreme Court durchzusetzen, ist in der amerikanischen Verfassung nicht vorgesehen, aber seit Langem Realität. „Das Oberste Gericht ist eine heimliche Parallelregierung geworden“, sagen Experten der Georgetown University in Washington.

Anhänger Hillary Clintons verbanden darum mit ihrer Wahl die Hoffnung, dass die unbegrenzte Wahlkampffinanzierung durch Millionäre und Milliardäre, die im Fall „Citizen United“ höchstrichterlich abgesegnet wurde, beizeiten zu Fall gebracht wird. Makulatur.

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