Türken wählen in Deutschland "Endlich irgendwo mitbestimmen"

Essen · Für rund 1,4 Millionen Türken in Deutschland ist es eine Premiere: In dem Land, in dem sie wohnen dürfen sie erstmals über den Präsidenten in der fernen Heimat mitbestimmen. Auch in NRW, wo der Andrang zunächst verhalten ist.

Darauf hat Mukaddes Degirmencioglu lange gewartet. Die junge Türkin gehört zu den Ersten, die ihren Wahlzettel in eine der über 70 Urnen gesteckt haben, die seit Donnerstag die Essener Messehallen vier Tage lang zum riesigen Wahllokal werden lassen. Die 26-Jährige mit türkischem Pass aus dem westfälischen Ense bei Soest ist Erstwählerin und glücklich über die erste Auslandswahl für Türken überhaupt.

"Wir sind ja in Deutschland Ausländer und in der Türkei auch. Jetzt haben wir endlich die Möglichkeit irgendwo mitzubestimmen", sagt sie. Sie hofft mit ihrer Stimme bei dieser ersten Direktwahl eines türkischen Präsidenten einen Beitrag dafür zu leisten, dass in ihrem Herkunftsland "alles viel, viel besser wird".

Mitgestalten in der fernen Heimat will auch Oguzhan Kömbeci. "Das ist wichtig für die Zukunft unseres Landes", sagt der 19-jährige Bochumer und übersetzt für seine ihn begleitende Mutter: "Durch die Möglichkeit zu wählen, fühlt sie sich erst als Mensch". Es sei 21 Jahre her, dass sie zuletzt gewählt habe.

Andere schert die neue Möglichkeit nicht: "Ich hab' doch nix davon", sagt Ahmet Sensan, schließlich wohne er Zeit seines Lebens schon im Ruhrgebiet. Er begleite nur seinen Schwiegervater. "Für die ältere Generation ist die Politik in der Türkei noch wichtiger", sagt der 38-Jährige. Aber seine Heimat sei hier, türkischer Pass hin oder her.

Die Messehalle aus der um kurz nach Acht die ersten Wähler wieder ins Freie treten, erlebt ebenfalls eine Premiere: Wo sonst Firmen ihre neusten Produkte präsentieren, hat das türkische Generalkonsulat ein gigantisches Wahllokal eingerichtet. Von dem, was in den kommenden vier Tagen dort genau vor sich geht, dürfen sich Journalisten allerdings kein eigenes Bild machen - anders als bei Wahlen in Deutschland sonst üblich. Nach Anmeldung dürfen Medienvertreter in der Bundesrepublik auch in Wahllokalen ihrer Arbeit nachgehen. Achselzucken beim Vize-Generalkonsul Ahmet Davaz. "Das ist in der Türkei so entschieden worden".

So bleiben nur ein gewährter Rundgang am frühen Morgen, bevor die Wahl offiziell losgeht und die Worte des Generalkonsuls. Zwei Hallen hat das Konsulat für die rund 215.000 Wahlberechtigten angemietet. Mit Stellwänden wurden 78 provisorische Räume abgetrennt. Dort stehen jeweils zwei Boxen zum Ausfüllen der Stimmzettel sowie die Urnen. Letztere sind aus transparentem Kunststoff und sollen nach der Wahl versiegelt in die Türkei geflogen werden. Jeder abgetrennte Raum werde betreut von mindestens zwei Wahlhelfern des Konsulats und der Verbände. Dazu kämen je bis zu drei Vertreter, die die türkischen Parteien entsenden konnten, erklärt Davaz.

"Ich hoffe, dass viele Wähler kommen", sagt Davaz, "für die Demokratie wäre das ein wichtiger Punkt". Am Morgen deutet jedoch wenig auf hohe Wahlbeteiligung hin. Keine langen Schlangen, viele freie Parkplätze und vor allem: Nur 15.000 Türken haben wie vorgesehen für die Abstimmung in Essen online einen Wunschtermin vereinbart. Vielleicht liegt es am Sommer, glaubt Davaz. Und es sei möglich, dass es trotzdem viel mehr werden. Schließlich sei den anderen Wahlberechtigten ein Termin zugewiesen worden.

Wer den verpasst, für den bleibt alles beim Alten: Stimmabgabe nur in der Türkei oder gar nicht. Dort wird am 10. August gewählt.

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