Bundestag Ende der Illusionen beim Brexit

Berlin · Brexit-Debatte im Bundestag: Kanzlerin Angela Merkel will einen klaren Schnitt. An diesem Samstag tagen die EU-Staats- und Regierungschefs bei einem Sondergipfel in Brüssel ohne Großbritannien.

Thomas Oppermann und Angela Merkel erzählen zu dieser frühen Stunde im Bundestag zwei wunderbare Erfolgsgeschichten. Sehr unterschiedlich, aber erfreut sind doch beide: der SPD-Fraktionschef ebenso wie die Bundeskanzlerin. Oppermann hat Geburtstag. Er ist jetzt 63 Jahre alt. An die abschlagsfreie Rente, die ihm diese Koalition zugestehen würde, wenn er 45 Beitragsjahre vorzuweisen hätte, denkt der Jurist gerade nicht. Eher an den 3:2-Sieg seines Vereins Borussia Dortmund im Pokalhalbfinale gegen Bayern München am Abend zuvor. Für Oppermann das „schönste Geburtstagsgeschenk“. Merkel ist erkennbar amüsiert, ach der Fußball, wo sie doch andere Sorgen hat.

Zum Beispiel die Lage in der Türkei nach dem Verfassungsreferendum. Die OSZE beklagt eine mögliche Wahlverzerrung. Merkel sagt, man werde sehr genau beobachten, wie Ankara mögliche Unregelmäßigkeiten aufklärt. Nur eines will sie nicht: einen endgültigen Abbruch der deutsch-türkischen und der europäisch-türkischen Beziehungen. Dies würde niemandem helfen. Aber die Türkei müsse schon wissen, dass es mit einem Rechtsstaat nicht vereinbar sei, wenn die Exekutive Menschen vorverurteile, wie dies im Fall des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel geschehen sei.

Und dann ist da auch der Brexit, für den eine Mehrheit der Briten vor zehn Monaten bei einem Referendum gestimmt hatte. Großbritannien will raus aus der Europäischen Union und hat dazu am 29. März offiziell den Antrag auf EU-Austritt gestellt. Premierministerin Theresa May betont unterdessen immer wieder, dass ihr Land selbstverständlich Teil Europas bleibe. Doch womöglich gibt es auf der britischen Insel noch allzu rosige Vorstellungen über die Folgen eines EU-Austritts, denn Großbritannien sei künftig ein „Drittstaat“, wird Merkel deutlich. „Ich habe das Gefühl, dass sich einige in Großbritannien darüber noch Illusionen machen, das aber wäre vergeudete Zeit“, räumt Merkel mit der Mär auf, Großbritannien könnte es außerhalb der EU besser gehen als im Klub der 28 Staaten.

An diesem Samstag tagen die EU-Staats- und Regierungschefs bei einem Brexit-Sondergipfel in Brüssel ohne Großbritannien. Die EU wolle dort „gemeinsame Leitlinien für die Verhandlungen“ mit London festlegen, wie Merkel betont. Es gehe bei den Verhandlungen darum, Schaden von der EU abzuwenden, wie auch die Interessen von 100 000 Deutschen zu wahren, die auf der Insel lebten. Merkel will „das beste Ergebnis für Europa“. „Ich bin davon überzeugt, die EU wird nach dem Austritt Großbritanniens eine einzigartige Wertegemeinschaft und einer der stärksten Wirtschaftsräume bleiben.“

Linke-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht wähnt sich bei derlei Reden „im falschen Film“. Die EU als Erfolgsgeschichte? Die Armut wachse, die Mittelschicht plage Abstiegsängste, einige EU-Staaten hätten wegen strenger Reformauflagen kaum mehr Spielraum. Beim Brexit verfolge die EU einen „unverantwortlichen Kurs“. Sie wolle einen EU-Ausstieg für andere Staaten „so abschreckend wie möglich“ gestalten. Wagenknecht: „Was Sie da machen, ist anti-europäische Politik.“

SPD-Fraktionschef Oppermann hält Wagenknecht entgegen: „Sie malen hier ein Krisenszenario aus und ignorieren, dass im Augenblick die Eurozone dabei ist, sich wirtschaftlich zu stabilisieren.“ Für den Wunsch nach Austritt dürfe es keine Rabatte in den Verhandlungen geben, „sonst leisten wir Beihilfe zum Verfall der EU“.

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