Reste des Westwalls Einst Stätte des Grauens, jetzt Biotop

LEIDENBORN · Max Wehrhausen ist inzwischen 88 Jahre alt. Doch an die Zeit, als in der Eifel der Westwall gebaut wurde, kann er sich noch sehr gut erinnern. 180 bis 190 Lastwagen seien am Tag durch seinen Heimatort Leimbach bei Neuerburg gefahren, sagt Wehrhausen.

 Der Westwall heute und gestern: Mit Moosen und Flechten bewachsene Höcker, die unter der Erde fest miteinander verbunden sind

Der Westwall heute und gestern: Mit Moosen und Flechten bewachsene Höcker, die unter der Erde fest miteinander verbunden sind

Foto: Franz Froessl/dpa

Warum er das noch so genau weiß? "Als Jungs haben wir damals die Autos und die vollgeladenen Lastwagen gezählt." Die meisten hatten Sand und Kies dabei. Wieder andere die sechs Meter langen Betonstäbe, mit denen die so typischen Höckerlinien unterirdisch miteinander verbunden waren.

Max Wehrhausen sitzt auf einem schattigen Plätzchen, direkt vor einigen der Betongebilde, und erzählt aus der Zeit vor rund 75 Jahren: Sehr viele Arbeitslose, etwa aus Trier, hätten damals Ende der 30er Jahre Beschäftigung beim Bau des Westwalls hier an der Grenze zu Belgien und Luxemburg gefunden. Hinzu seien viele Fachkräfte aus allen möglichen Teilen Deutschlands gekommen.

Der Westwall - das war eines der größten Bauprojekte in Nazi-Deutschland. Auf rund 630 Kilometern Länge von der Grenze zu den Niederlanden im Norden bis zu jener mit der Schweiz im Süden erstreckte sich die Anlage, in die rund 18 000 Bunker, Stollen sowie zahllose Gräben und Panzersperren eingebunden waren.

Doch im Grunde war der Westwall auch eines der unsinnigsten Bauprojekte in Deutschland. Denn das Ziel der Nationalsozialisten, fremden Mächten bei einem Krieg den Vormarsch ins Deutsche Reich zu verwehren, den hat er nicht erfüllen können.

"Für die Amerikaner war das nur ein kleines Hindernis", sagt Max Wehrhausen, deutet auf die Betonklötze und erklärt die Vorgehensweise. Um die Höckerlinie zu überwinden, hätten die Soldaten nur 15 Minuten gebraucht. "Die haben Erde draufgeschoben, und dann konnten die Panzer rüberfahren." Dass rund alle 100 Meter Bunker standen, war für die Alliierten auch kein Problem.

Ernst Görgen, bis Mai Geschäftsführer des Naturparks Nordeifel, hat recherchiert und in Erfahrung gebracht, dass die Amerikaner "einfach da reingeschossen haben. Viele Soldaten sind dort grausam gestorben." Als Pensionär führt Görgen weiterhin Besucher- und Wandergruppen durch die Eifel. Belgier, Luxemburger, Niederländer, natürlich auch Einheimische, aber auch viele Nachfahren von US-Soldaten meldeten sich an und wollten wissen, "was die Betonklötze dort im Wald eigentlich sollen", sagt Görgen.

Historische Informationen für Touristen - das ist auch ein Ziel, den der neue Westwall-Wanderweg befriedigen soll. Der werde natürlich "nie ein Millionenpublikum anziehen", so Görgen, aber er werde die touristische Erschließung der Region vorantreiben. "Islek" heißt der Weg, was auf Keltisch Bergzug bedeutet. So heißt auch die Landschaft im äußersten Nordwesten von Rheinland-Pfalz. Vor wenigen Wochen gab Landesumweltministerin Ulrike Höfken den Weg offiziell frei.

In einer Region, die es wie viele andere jenseits der Ballungsräume schwer hat. Stichwort demografischer Wandel. "Na klar, wir leiden auch unter Überalterung", sagt Werner Roderich. Er ist Ortsbürgermeister von Leidenborn, einer Gemeinde mit 160 Einwohnern.

Der Tourismus ist für ihn "ein Baustein, hier im Dorf eine Struktur zu behalten". Der neue Islek-Wanderweg verläuft direkt unterhalb des Ortes, es ist nicht weit zum Eifel- und zum künftigen Ardennensteig, acht/neun Kilometer sind es zum beliebten Benelux-Treffpunkt am Dreiländereck mit Belgien und Luxemburg, und auch zum Eifel-Radwegenetz sind es nur ein paar Kilometer. Und der örtliche Gasthof biete 30 Gästebetten, sagt der Bürgermeister. Das macht Mut für die Zukunft.

Doch der Westwall ist nicht nur eine Attraktion für historisch Interessierte. Weil die Höckerlinie über Jahrzehnte vielfach unberührt war, siedelten sich dort seltene Moose, Farne oder auch Tiere wie die in Deutschland nur noch selten anzutreffende Wildkatze an.

"Die Linie hat sich gut entwickelt, ähnlich wie das Grüne Band, der ehemalige Mauerstreifen an der deutsch-deutschen Grenze", sagt Anne-Ruth Windscheif vom Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum aus Bitburg, während sie auf dem Islek-Weg in der Nähe von Großkampenberg durch einen dichten Fichtenwald wandert. Auf dem Boden stehen - quasi in Reih und Glied - Hunderte der so typischen Betonklötze.

Der mit Abstand artenreichste Moosstandort seien die Flanken der Betonhöcker, sagt Windscheif. 54 Moosarten seien dort entdeckt worden, darunter neun, die auf der roten Liste der bedrohten Arten stehen. Darüber hinaus stellten die Naturkundler bei ihren Untersuchungen insgesamt 103 Flechtenarten und fünf flechtenbewohnende Pilze fest.

Diese Artenzahl sei relativ hoch. Allein 55 hätten sich auf dem verbauten Beton gefunden, erklärt Windscheif. "Grüner Wall im Westen" heißt demnach auch das Projekt des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND), mit dem sich der Verband seit 2004 für den Biotopverbund stark macht.

Bei aller Freude der Naturschützer bleibt doch das monströse Bauwerk als solches. "Ein unglaubliches Volksvermögen" sei damals vernichtet worden, sagt Ministerin Höfken. Es heißt, dass der Bau der Sicherungslinie 3,5 Milliarden Reichsmark gekostet habe - eine unvorstellbare Summe.

Im Januar sind die Ruinen des Westwalls auf rheinland-pfälzischem Gebiet vom Bund an das Land übergegangen. Mainz ist damit künftig auch zum Beispiel dafür zuständig, dass die Verkehrssicherheit der oft von alten Drahtzäunen umgebenen Bunker gewährleistet ist oder dass niemand in irgendwelche Spalten rutschen kann. 25 Millionen Euro überweist der Bund dafür dem Land.

Im Oktober nächsten Jahres soll dieses Geld dann in das Vermögen einer Stiftung übergehen. Das Ziel: dass die Reste des Westwalls "als Friedensmahnmal, Lebensraum für seltene Tiere und Pflanzen sowie als Kulturdenkmal" erhalten bleiben, wie SPD und Grüne in einem Antrag an den Mainzer Landtag jüngst anregten. Derzeit wird das Stiftungsgesetz geplant.

Klaus Schäfer, Geschäftsführer der Eifel-Tourismus GmbH, hat hierfür vorsorglich schon einmal eine "Gesamtplanung" angemahnt. Beteiligt werden müssten Denkmal- und Naturschützer, Touristiker, die Kommunen, Gastronomen, die Landesplaner, Wissenschaftler, aber auch Experten aus dem benachbarten NRW.

Eines jedenfalls soll in Zukunft nicht mehr geschehen: Dass Teile der Höckeranlagen wie in früheren Jahren weiter abgebaut werden. "Sie sollen als wichtiges Element eines Biotopverbundes, aber auch als Mahnmal und Stätte des Grauens stehen bleiben", sagt Umweltministerin Höfken. Auch weil es kaum noch Zeitzeugen wie Max Wehrhausen gibt, die erzählen können, wie es damals beim Bau des Westwalls zuging.

Der Wanderweg

Start des Islek-Wanderwegs ist am südlichen Ortsrand von Großkampenberg. Der Weg teilt sich in eine westliche und in eine östliche Schleife. Die westliche ist fünf Kilometer lang, die östliche etwas länger. Größtenteils ist der Weg markiert. "Wir sind froh, dass wir den Weg jetzt anbieten können", sagt Josef Freichels, Leiter der Tourist-Info der Verbandsgemeinde Arzfeld, zu der auch die Ortsgemeinden Großkampenberg und Leidenborn gehören. Viele Besucher hätten in den vergangenen Jahren nachgefragt, was es mit den in der Landschaft stehenden Höckern auf sich habe. Geplant seien eine neue Wanderkarte, Internetinfos und eventuell auch eine Audio-Guide-Tour, also die Möglichkeit, über Sehenswürdigkeiten gleich per Kopfhörer informiert zu werden. An einer herausgehobenen Stelle soll ein zwölf Meter hoher Hügel entstehen - mit Ausblick Richtung Dreiländereck.

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