Situation in der Türkei Einführung mit Tumult

ISTANBUL · In der Türkei hat die Präsidentschaft von Recep Tayyip Erdogan begonnen - begleitet von Salutschüssen und Ehrengarde, aber auch von bitterem politischen Streit. Noch bevor Erdogan im Parlament von Ankara seinen Amtseid als zwölfter Staatspräsident der Türkei ablegte, gab es wütende Proteste der Opposition.

Erdogan-Gegner schleuderten ein Buch mit der Parlaments-Geschäftsordnung und der Verfassung in Richtung des Sitzungspräsidenten.

In seiner ersten Rede als Präsident beschwor Erdogan die Geschichte: Zum ersten Mal in der zweitausendjährigen Gesichte der Türken sei deren Staatsoberhaupt direkt vom Volk gewählt worden. Erdogan versprach stärkere Anstrengungen beim Streben seines Landes nach einer Mitgliedschaft in der EU, weitere politische Reformen und eine "aktivere" Außenpolitik zum Wohle der Menschen. Seine Wahl zum Präsidenten markiere den Beginn einer "neuen Türkei".

Als erster direkt gewählter Präsident der Türkei will Erdogan so rasch wie möglich sein Projekt einer "neuen Türkei" verwirklichen. Im Mittelpunkt stehen geplante Verfassungsänderungen zur Verankerung eines Präsidialsystems. Der frisch gewählte Chef der Regierungspartei AKP und designierte neue Ministerpräsident, Ahmet Davutoglu, will schon heute seine Regierung vorstellen. Laut Presseberichten werden Erdogan-Loyalisten im Kabinett darauf achten, dass Davutoglu auf der Linie des Präsidenten bleibt.

"Davutoglu wird Erdogans Soldat sein", schrieb der regierungskritische Journalist Hasan Cemal. Nationalistenchef Devlet Bahceli nannte Davutoglu verächtlich eine "Marionette". Aus Erdogans Sicht liegt Davutoglus wichtigste Aufgabe in der Vorbereitung des Wahlkampfs für die Parlamentswahl 2015. Dann wird sich zeigen, ob Davutoglu als AKP-Chef und Ministerpräsident die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllen kann.

Er soll dafür sorgen, dass die AKP im neuen Parlament mindestens 330 Mandate hat, damit sie per Volksabstimmung die geplanten Verfassungsänderungen durchsetzen kann.

In seinem Amtseid verpflichtete sich Erdogan unter anderem, für den Rechtsstaat, die Menschenrechte, den Laizismus und die Demokratie einzustehen und sich als Präsident unparteiisch zu verhalten. Kritiker befürchten jedoch, dass die Türkei unter Präsident Erdogan sich zu einem autokratischen Staat entwickelt. Ein Reporter einer regierungskritischen Zeitung berichtete auf Twitter, er habe ab sofort keinen Zutritt zum Präsidentenpalast mehr.

Schon vor seinem Amtsantritt hatte Erdogan klargestellt, dass er trotz des Neutralitätsgebotes der Verfassung weiter die Interessen seiner Regierungspartei AKP vertreten wolle. In seiner Rede zum Abschied vom AKP-Vorsitz attackierte er zudem die Opposition in gewohnt scharfen Worten. Ein Landesvater für Türken jeder politischer Couleur wird Erdogan wohl nicht sein.

Die Abgeordneten der größten Oppositionspartei im Land, die säkularistische CHP, wollten Erdogans Vereidigung mit einer Geschäftsordnungsdebatte verzögern, was von Parlamentspräsident Cemil Cicek abgelehnt wurde. Wütend verließen die CHP-Politiker darauf noch vor Erdogans Vereidigung das Plenum, nicht ohne vorher mit der Geschäftsordnung nach Cicek zu werfen. Der Wurf verfehlte den Parlamentspräsidenten jedoch.

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