Dauerthema Salafisten Eine Landkarte des Ausnahmezustands

BONN · Solingen, Bonn, Köln. Die rechtsextremistische Gruppierung Pro NRW scheint auf auf einer Tournee durch Nordrhein-Westfalen zu sein. Eine Tournee mit dem Ziel, Übergriffe und Gewalt zu provozieren.

Das Muster: Anhänger der rechtsextreme Organisation stellen sich in der Nähe von Moscheen auf und zeigen öffentlich Tafeln mit den Mohammed-Karikaturen des dänischen Zeichners Kurt Westergaard.

Prompte und offenbar beabsichtigte Reaktion: Eine meist um ein Vielfaches größere Gruppe radikal-islamischer Salafisten beginnt wie auf Knopfdruck einen Gewaltexzess, für dessen Ausmaß die Bonner Polizei mit Blick auf den vergangenen Samstag weiterhin um Worte ringt. Von "bürgerkriegsähnlichen Zuständen" sprachen gestern die Anwohner im Bonner Stadtteil Lannesdorf.

Die Straßenkämpfe zwischen den Extremisten sind ein Thema geworden, das für die Politik nicht nur wenige Tage vor einer Landtagswahl denkbar ungelegen kommt. Und das schon aus terminlichen Gründen: Für "normale" Wahlkampftermine hat beispielsweise Innenminister Ralf Jäger (SPD) im Augenblick kaum Zeit. Am Sonntagmittag war er nach Bonn geeilt, um sich aus erster Hand von der Polizeiführung über die Ausschreitungen informieren zu lassen. Seitdem müht er sich darum, die Provokationen durch Pro NRW gerichtlich verbieten zu lassen.

Am Sonntagabend hatte Jäger noch große Zuversicht verbreitet. Doch schien es bis gestern Abend, als mühte er sich vergeblich. In Bielefeld durfte Pro NRW die Westergaard-Zeichnungen am Montag zeigen, nachdem das Verwaltungsgericht Minden ein polizeiliches Verbot gekippt hatte.

Das Ergebnis der Abwägung zwischen den Grundrechten der Meinungs- und der Religionsfreiheit zeigt eine alte Kontroverse auf. Ebenso wie nun die Kollegen in Bielefeld hatte sich auch die Polizeiführung in Bonn im Vorfeld der Kundgebung am Samstag der Rechtsprechung beugen müssen, nachdem sie das Zeigen der Karikaturen polizeilich untersagen wollte. In Minden verwies ein Gerichtssprecher auf die hohen Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts zu versammlungsrechtlichen Auflagen.

In Bielefeld blieb es dem Vernehmen nach am Montag ruhig: Etwa 15 Anhänger von Pro NRW versammelten sich in der Nähe einer Moschee, 400 Demonstranten vor allem aus dem linken Spektrum standen ihnen laut Polizei gegenüber. Von Ausschreitungen durch radikale Islamisten wurde nichts bekannt.

Doch die Bilder aus Bonn-Lannesdorf und die Schilderungen der Hetzjagden von Salafisten auf Polizeibeamte bleiben lebendig, auch vor den Augen des Innenministers. Er hofft nun, dass der Millionenmetropole Köln heute derlei Szenen erspart bleiben. Nach derzeitigem Stand aber will Pro NRW auch vor der Zentralmoschee im Stadtteil Ehrenfeld die Karikaturen zeigen.

Vor den Salafisten hatte der Sozialdemokrat Jäger bereits vor Wochen regelmäßig gewarnt. Ihr Ziel sei es, einen Gottesstaat zu errichten, warnte der Innenminister, als die Koranverteilungen der Gruppe in Innenstädten noch belächelt wurden. In Bonn, wo die Gewalttäter am Samstag den Ordnungshütern unverhohlen den Krieg erklärten, lächelt angesichts der kompromisslosen Rücksichtslosigkeit der Schläger inzwischen niemand mehr.

Unterdessen verdeutlicht die Intensität der von Politikern derzeit gebetsmühlenhaft vorgetragene Bemerkung, die kleine Gruppe der Salafisten dürfe nicht mit der Mehrheit der friedliebenden Muslime in Deutschland verwechselt werden, wie groß genau diese Sorge inzwischen ist.

Bonns OB Jürgen Nimptsch lud am Montag Vertreter von Polizei, Politik, Muslimverbänden und Integrationsbeauftragten zum Gespräch ein. Dass mit den Salafisten nicht zu diskutieren ist, kommt auch in der Stellungnahme des OB zum Tragen: "Es darf und wird keine Nachsicht gegenüber Salafisten geben. Diese eindeutige Haltung erwarte ich selbstverständlich auch von Muslimen in unserer Stadt", ließ Nimptsch mitteilen.

Noch nicht geäußert hat sich zu den Straßenschlachten in Bonn bislang die Bundeskanzlerin. Dem dänischen Karikaturisten Kurt Westergaard hatte Angela Merkel vor eineinhalb Jahren in einer Laudatio Mut bescheinigt, als der Däne mit dem Potsdamer Medienpreis ausgezeichnet wurde - für seine unbeugsame Haltung.

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