Missbrauch in der katholischen Kirche Ein zerrüttetes Verhältnis

Berlin · Damals, im Sommer 2011 in Bonn, war Christian Pfeiffer geradezu euphorisch. "Weltweit hat sich noch keine katholische Kirche dazu entschlossen, so detailliert Aufklärung zu betreiben", sagte er seinerzeit im Uni-Club.

 Wirft dem Studienleiter der Forschungsarbeit dessen Kommunikationsverhalten vor - der Trierer Bischof Stephan Ackermann.

Wirft dem Studienleiter der Forschungsarbeit dessen Kommunikationsverhalten vor - der Trierer Bischof Stephan Ackermann.

Foto: ap

Der niedersächsische Kriminologe hatte gerade von den deutschen Bischöfen den Auftrag bekommen, den sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche seit dem Zweiten Weltkrieg zu erforschen. Einen ersten vollständigen Überblick hoffte er 18 Monate später geben zu können. Das wäre in diesen Wochen gewesen.

Dazu aber wird es nicht kommen, nicht heute und auch nicht morgen. Die katholischen Bischöfe haben sich vom Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KfN) im Streit getrennt. Das Vertrauensverhältnis sei "zerrüttet", erklärt Bischof Stephan Ackermann, Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz für Fragen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger in der Kirche. Als Grund nennt er das "Kommunikationsverhalten" Pfeiffers.

Der 68-jährige Wissenschaftler ist eine bundesweit bekannte Persönlichkeit und in den Medien sehr präsent. Gestern Morgen hat er in Rundfunkinterviews seine Sicht der Dinge geschildert. Er wirft seinem Vertragspartner, dem Verband der Diözesen Deutschlands (VDD), vor, er habe seine Forschungsarbeit durch "Zensur" behindern wollen. Ackermann weist das entschieden zurück.

[kein Linktext vorhanden]Es gehe vielmehr um Datenschutz und Persönlichkeitsrechte. Nun wollen die Bischöfe einem anderen Institut den Forschungsauftrag geben. Tatsächlich hat die Arbeit Pfeiffers noch gar nicht richtig beginnen können. Zwei seiner Mitarbeiterinnen sind inzwischen abgesprungen, weil die Bischöfe ihnen untersagen wollten, die Ergebnisse der Arbeit für eine Dissertation beziehungsweise Habilitation verwenden zu können.

Dabei hatten die Bischöfe Pfeiffer im Forschungsvertrag zugesichert, diese Ergebnisse für wissenschaftliche Zwecke verwerten und auch veröffentlichen zu dürfen. Einige Priester hatten ihren Unmut schon geäußert, während die Tinte unter dem Forschungsauftrag noch trocknete. Das war im August 2011. Das erzkonservative "Netzwerk katholischer Priester" protestierte gegen die "beabsichtigte pauschale Herausgabe aller Personalakten zum Zwecke eines Forschungsprojekts".

Dadurch würde die Mehrheit der Mitbrüder "einem öffentlichen Generalverdacht im Hinblick auf sexuellen Missbrauch an Minderjährigen ausgesetzt". Man könne den Forschern keine Akteneinsicht "ohne Einwilligung des Einzelnen" gewähren. Ziemlich umfassend war der Auftrag tatsächlich. In neun der 27 Diözesen sollten sämtliche Personalakten von Priestern, Diakonen und männlichen Ordensangehörigen ab 1945 auf Missbrauchsfälle untersucht werden.

Alle Diözesen sagten zudem zu, dass sie die Akten auf Verdachts- und erwiesene Fälle für den Zeitraum von 2000 bis 2010 durchforsten wollten. Für die Sichtung und Auswertung der Unterlagen war ein übliches Anonymisierungsverfahren vorgesehen. Nur die mit einem Code versehenen und damit namentlich unkenntlich gemachten Akten durften den Kirchenbereich verlassen, als Auswerter vor Ort sollten ehemalige Richter und Staatsanwälte - handverlesen - eingesetzt werden, keine Mitarbeiter von Pfeiffers Institut. Er rechnete damit, dass wohl 100 000 Schriftstücke zu sichten wären.

Doch im Mai 2012 erreichte den Kriminologen ein neuer Vertragsentwurf. Die Bischöfe verlangten umfangreiche Änderungen am ersten Vertrag. Die Verwertungs- und Nutzungsrechte sollten nun ausschließlich beim VDD liegen. Im schlimmsten Fall hätten Pfeiffer und seine Mitarbeiter gar nichts mehr veröffentlichen dürfen. Außerdem drohte die Kirche mit Strafen von 20 000 Euro für jede Vertragsverletzung.

Am schwersten wiegt aber Pfeiffers Vorwurf, dass nach seinen Informationen Akten vernichtet worden sein sollen. Es gebe eine Vorschrift, wonach zehn Jahre nach der Verurteilung eines Priesters die Akten zu beseitigen seien. Eine entsprechende Anfrage an die Kirche vom Oktober sei vom VDD nie beantwortet worden. Dadurch aber könne sein Institut den Auftrag nicht erfüllen, die Missbrauchsfälle seit 1945 zu erforschen.

Die in Bonn ansässige Deutsche Bischofskonferenz weist den Vorwurf der Aktenvernichtung zurück. Dem General-Anzeiger sagte ihr Sprecher Matthias Kopp gestern: "Abweichend vom staatlichen Recht sieht das Kirchenrecht jedoch vor, dass bei Sittlichkeitsfragen - in den Fällen, die strafrechtlich anhängig waren - ein Tatbestandsbericht und der Wortlaut des Endurteils auf Dauer aufbewahrt werden." Es ließen sich insofern keine Straftaten vertuschen. "Es ist falsch und irreführend, den Eindruck zu erwecken, es gebe eine vom kirchlichen Recht her geforderte Aktenvernichtung, die das Forschungsprojekt behindern würde."

Bedauern über das Projektaus zeigt der Präsident des Zentralkomitees der Katholiken, Alois Glück. Er geht aber davon aus, dass es einen neuen Forschungsauftrag geben wird. 2011 in Bonn saß Pfeiffer übrigens neben Norbert Leygraf, einem Forensiker aus Duisburg-Essen. Sein Team hat Gutachten zur Psyche straffälliger Priester analysiert. Immerhin: Er konnte seine Studienergebnisse im Auftrag der Bischofskonferenz im Dezember vorstellen.

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