Fachtagung Ein weiter Weg zur Inklusion

KÖLN · Eine Studie für den Landschaftsverband Rheinland (LVR) sieht gute Chancen für den gemeinsamen Unterricht. Die Fachtagung "Qualitätsbedingungen schulischer Inklusion" fand am Donnerstag in Köln statt.

 Eine Herausforderung für viele: Unterricht mit Behinderten und Nicht-Behinderten.

Eine Herausforderung für viele: Unterricht mit Behinderten und Nicht-Behinderten.

Foto: dpa

Pia Röllgen ist körperbehindert und auf den Rollstuhl angewiesen. Inzwischen studiert sie Biologie an der Kölner Universität, doch bis sie dahin gekommen ist, musste sie einen weiten Weg zurücklegen - zu einer Zeit, als der gemeinsame Unterricht von behinderten und nicht-behinderten Schülern noch kein Thema war. Ihre Geschichte erzählte sie am Donnerstag bei der Fachtagung "Qualitätsbedingungen schulischer Inklusion" des Landschaftsverbands Rheinland (LVR) in Köln.

In der Regel-Grundschule hätten die Lehrer mit ihr nicht viel anfangen können, berichtete die junge Frau. "Du weißt doch bestimmt am besten selbst, wie Du zurecht kommst", habe eine Lehrerin zu ihr gesagt. Konnte sie aber nicht. "Ich war damals noch nicht so weit, um mir selbst Hilfe zu suchen", sagte sie.

Weil sie aufgrund ihrer Behinderung zur Linkshänderin wurde, aber nur in Spiegelschrift und von rechts nach links schrieb, hätten die Lehrer sie "für zu dumm gehalten, um richtig schreiben zu lernen". Eine Empfehlung für eine Lernbehindertenschule war die Folge.

Ihrer Mutter gelang es zwar, sie in einer Integrierten Hauptschule anzumelden, dort sei sie aber unterfordert gewesen. Schließlich gelangte sie zur Kölner Anna-Freud-Schule, einer Förderschule für Körperbehinderte, in deren Oberstufe nach gymnasialen Standards unterrichtet wird. "Dort habe ich gelernt, dass Schule auch etwas anderes sein kann als Krieg", meinte sie, "Krieg mit den Lehrern, den Mitschülern und auch mit meiner Mutter, die mich zwang, in die ungeliebte Schule zu gehen."

In der Anna-Freud-Schule hätten die Lehrer gewusst, wie sie mit Körperbehinderten umgehen müssten. Inzwischen werden dort auch Nicht-Behinderte unterrichtet. Eine echte Inklusion also.

Der Würzburger Sonderpädagogik-Professor Reinhard Lelgemann ist sich sicher, dass gemeinsamer Unterricht für viele Kinder und Jugendliche sowohl mit körperlichen Beeinträchtigungen als auch ohne möglich ist, wenn die Voraussetzungen geschaffen würden.

So wünschten sich viele Förderschüler und deren Eltern mehr gemeinsamen Unterricht, doch 82 Prozent der Eltern sagten auch, sie seien zufrieden mit der Förderschule, sagte Lelgemann. Für eine Studie im Auftrag des LVR hatte er Schüler, Eltern, Schulleitungen und Lehrer sowohl aus Förder-, Integrativen als auch aus Regelschulen befragt.

Sein Schluss: Es müsse darauf geachtet werden, dass die Schüler nicht nur gemeinsam lernen, sondern auch leben können. "Was hilft es etwa, wenn der Aufzug zu klein ist, Rollis in der Schlange warten müssen und nicht rechtzeitig zur nächsten Stunde da sein können?" Er habe aber den Eindruck, dass die Schulen "eine hohe Bereitschaft" hätten, sich auf die Inklusion einzulassen.

Darüber hinaus empfahl Lelgemann, zwei Pädagogen in die Klassen mit Behinderten zu schicken, höchstens 24 Schüler dort zu unterrichten und mehr Fortbildung für die Lehrer im Hinblick darauf anzubieten, dass diese mit Therapeuten und Pflegekräften kooperieren müssten. Zudem dürfe die Bildung nicht vernachlässigt werden. "Es geht in der Diskussion um die Inklusion nicht nur um das Dabeisein, sondern es sollte genauso um das Bildungsangebot gehen", sagte Lelgemann.

NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann sieht in der Studie "Rückendeckung für unsere Linie", wie sie bei der Kölner Tagung sagte. So solle es im Land zwar einen Rechtsanspruch auf den Besuch einer allgemeinen Schule geben, Eltern sollten aber weiter die Möglichkeit erhalten, ihre Kinder an Förderschulen anzumelden.

"Wir wollen alle Beteiligten nicht überfordern, da haben wir aus der Hau-Ruck-Einführung von G8 gelernt", meinte Löhrmann. Darüber werde in der nächsten Woche im Landtag beraten. Im Herbst soll das Schulgesetz in diesem Punkt erneuert werden, so dass die neuen Regelungen ab 2013 gelten könnten.

Nach Ministeriums-Angaben hatten im Schuljahr 2010/11 von den rund 2,8 Millionen Schülern rund 130.000 einen sozialpädagogischen Förderbedarf, etwa 105.000 davon wurden in Förderschulen unterrichtet.

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