Bundesparteitag der SPD Ein Stoßgebet mit August Bebel

LEIPZIG · Erst mal beten. Das kann helfen. Und glauben - das Richtige zu tun. Und dann doch so hart wie möglich verhandeln. Morgens waren die Sozialdemokraten noch in der Kirche. Aber nicht in irgendeiner.

 Nachdenkliche Rede: Der SPD-Bundesvorsitzende Sigmar Gabriel gestern beim SPD-Bundesparteitag in Leipzig.

Nachdenkliche Rede: Der SPD-Bundesvorsitzende Sigmar Gabriel gestern beim SPD-Bundesparteitag in Leipzig.

Foto: DPA

Nein, sie haben die Thomaskirche in Leipzig für ihren ökumenischen Gottesdienst gewählt. Sigmar Gabriel sagt später in Halle 2 der Leipziger Messe, hier habe August Bebel, einer der Begründer der organisierten sozialdemokratischen Arbeiterbewegung, geheiratet. Kein schlechter Ort für die SPD, sich vor ihrem Bundesparteitag zu besinnen.

Die Thomaskirche ist ein politisch-historisch beladenes Gotteshaus. Im Taufbecken ist zu Gründerzeiten der Sozialdemokratie auch ein gewisser Karl Liebknecht getauft worden. Seine Taufpaten: Karl Marx und Friedrich Engels. Dem kleinen Liebknecht waren Klassenkampf und Revolution quasi schon in die Wiege gelegt, als Bebel bereits aktiv politisierte.

Gabriel ist in der 79. Minute seiner insgesamt 84-minütigen Rede, als er Bebel, Liebknecht, Marx und Engels in seinem Geschichtsrückblick versammelt. Der SPD-Vorsitzende versucht gerade einen Spagat. Auf der einen Seite möchte Gabriel einen möglichst großen Teil der Genossinnen und Genossen im Saal und natürlich draußen im Land hinter dem eingeschlagenen Kurs in Richtung einer großen Koalition vereinen.

Damit ihm seine Partei den Weg in eine große Koalition mit CDU und CSU womöglich nicht noch als Herzensangelegenheit auslegt, baut Gabriel vor: "Mit uns wird es weder eine politische Liebesheirat noch eine Zwangspartnerschaft geben." Deswegen sei diese große Koalition, wenn sie denn kommt und die Mitglieder bei der kommenden Befragung zustimmen, "eine befristete Koalition der nüchternen Vernunft".

Gabriel weiß aber auch, dass es eine Zeit nach dieser dritten großen Koalition in der Geschichte der Bundesrepublik geben wird. Spätestens 2017 soll es so weit sein. Darauf soll eine Passage des Leitantrags vorbereiten, mit der sich die SPD für künftige rot-grün-rote Linksbündnisse öffnen will. "Ja, auch mit der Linkspartei", sagt der SPD-Chef in einer Mischung aus Appell und Mahnung zu den Delegierten im Saal.

Aber bitte, keine Illusionen. Er will auch nicht die potenziellen Koalitionspartner in der Union verprellen. Dass die SPD nicht bereits in dieser Legislaturperiode eine Regierung unter Einschluss der Linkspartei bilden wolle, liege "nicht an der berühmten ?Ausschließeritis?". Die Ablehnung einer Koalition mit der Linkspartei in dieser Legislaturperiode sei "schon dieses Mal keine grundsätzliche Frage, sondern eine pragmatische" gewesen.

Dann ist Gabriel noch mal bei Karl Liebknecht. Denn der Schlüssel für eine solche Zusammenarbeit mit der Linken liege nicht im Willy-Brandt-Haus, sondern in dem Haus, das den Namen von Karl Liebknecht trage. Er meint die Parteizentrale der Linkspartei.

[kein Linktext vorhanden]Doch erst einmal muss Gabriel seine Partei über die Hürden der Gegenwart bringen. Bereits in zwei Wochen sollen die Verhandlungen über eine große Koalition abgeschlossen sein. Er weiß um die Skepsis an der eigenen Basis zu einem solchen Regierungsbündnis. Doch wenn es gelinge, dafür zu sorgen, dass der Koalitionsvertrag mit der Union "eine klare sozialdemokratische Handschrift trägt", dann sei ihm nicht bange, bei den 470 000 SPD-Mitgliedern um ein Ja zu dieser Koalition zu werben.

Die Handschrift könnte so aussehen: gleicher Lohn für gleiche Arbeit von Leih- und Zeitarbeitnehmern, gleicher Lohn für Männer und Frauen, abschlagsfreie Rente nach 45 Versicherungsjahren, doppelte Staatsbürgerschaft, erfolgreiche Energiewende, Gleichstellung der Homo-Ehe mit der Ehe von Frau und Mann sowie, natürlich, flächendeckender Mindestlohn von 8,50 Euro, wobei die SPD-Spitze seit einiger Zeit den Zusatz "gesetzlich" nicht mehr erwähnt.

Gabriel hat gleich zu Anfang gesagt, die Genossen mögen ihm bitte nicht böse sein, wenn er dieses Mal nicht mitreiße, sondern eine eher nachdenkliche Rede halten werde. Gabriel kann einen Saal in Wallung reden. Er kann aber auch den Stimmungsschalter ins Nachdenkliche dimmen.

Die Operation Mitgliederbefragung birgt Risiken, keine Frage. Noch kennt er das Ergebnis der Gespräche mit der Union nicht. Auch deshalb will Gabriel die Stimmung in offenen Koalitionsverhandlungen nicht anheizen. Und schon fragen Delegierte in Leipzig, "wie wir denn wieder rauskommen aus der großen Koalition?" Auch hier: Ergebnis offen.

Außerdem ist da ja auch noch die klaffende Wunde der Wahlniederlage. Der Parteichef nennt als Gründe eine "Glaubwürdigkeitslücke" und eine "wachsende kulturelle Kluft zu unserer Kernwählerschaft". Wie hatte der unterlegene SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück vor Gabriel gesagt?

"Wir müssen eine Partei sein, die man gerne wählt." Und: "Es muss sich gut anfühlen, die SPD zu wählen." Doch erst einmal müssen Gabriel, Steinbrück, die Parteivize Hannelore Kraft und Manuela Schwesig in Leipzig darauf verweisen, dass eben knapp 75 Prozent der Wählerinnen und Wähler nicht für die SPD gestimmt hätten. Dafür könne es nicht 100 Prozent SPD in einer möglichen Koalition mit der Union geben.

Gabriel weiß, dass er nach der schweren Wahlniederlage und der Operation "große Koalition" mit persönlichem Risiko agiert. Er spielt deshalb auch eine persönliche Karte. Die Delegierten müssten am Ende der Debatte abwägen, "ob ihr mich noch einmal in das Amt des Vorsitzenden der SPD wählt oder nicht". Der Parteitag gibt ihm die Antwort. Um 17.38 Uhr ist er mit 83,6 Prozent wiedergewählt.

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