Kommentar zum Tod von Helmut Kohl Ein Großer

Meinung | Bonn · Der Mann hatte Höhen und Tiefen. Doch seine größte historische Leistung ist die Einheit Deutschlands. Auch die Stadt Bonn hat dem Altkanzler viel zu verdanken, findet GA-Chefredakteur Helge Matthiesen.

Es ist eine feine Ironie der Geschichte, dass die Nachrufe für Helmut Kohl am 17. Juni erscheinen, jenem Tag, der einige Jahrzehnte als Gedenktag für die Einheit Deutschlands Feiertag war. Kohls historische Leistung ist die Einheit Deutschlands und damit die Abschaffung dieses Feiertages. Verdienste um die Einheit haben viele: Willy Brandt, Hans-Dietrich Genscher, um nur zwei zu nennen.

Es war jedoch Kohl allein, der in einer sehr unübersichtlichen politischen Lage die Chance erkannte und mit seinem Zehn-Punkte-Papier die Einheit Deutschlands auf die Tagesordnung setzte. Was heute beinahe folgerichtig und logisch erscheint, war es mitnichten. Denn die Bundesrepublik war gerade wieder dabei, sich in sehr kleinteilige politische Debatten zu verrennen, als Kohl die Möglichkeit erkannte. Das Glück verließ ihn nicht für ein paar Monate, und so wurde er zum Kanzler der Einheit

Das Glück meinte es jedoch nicht in allen Phasen seines Lebens so gut mit ihm. Kohl polarisierte von Anfang an, was weit weniger an seiner Politik lag, sondern vielmehr an seiner Person, seinem Auftreten und dem mangelnden Geschick, Gutes auch gut darzustellen. Von Beginn an hatte er einen wesentlichen Teil der Öffentlichkeit in Medien, Kultur und Wissenschaft gegen sich. Kohl galt als provinziell, als das komplette Gegenbild des selbst ernannten Weltpolitikers Helmut Schmidt. Sein Akzent war eindeutig, sein Redestil immer ein wenig zu salbungsvoll, die Wortwahl schlicht und sein politischer Stil klar von der Herkunft aus Rheinland-Pfalz geprägt.

Die Journalisten mochten ihn nicht und zeigten es ihm immer wieder. Niemand dieser Kritiker begriff, dass in der Provinz, konkret in der Pfalz die Kraftquelle Kohls lag, die seinen Blick auf Deutschland, auf Europa und am Ende auch die Welt prägte. Eben nicht großspurig, sondern eher bescheiden, mit Blick für das Mögliche und immer verlässlich. Kohl war ein großer Meister darin, Politik für jedermann zu übersetzen und verständlich zu machen. So sicherte er sich Unterstützung, so baute sich Kohl einen Ruf als Staatsmann auf, der ihm 1990 helfen sollte. Das fehlende Geschick im Umgang mit der Öffentlichkeit legte sich indes von Beginn an wie ein Grauschleier über seine Verdienste.

Kulturbauten für Bonn

Bonn hat der ersten Phase seiner Amtszeit beinahe alles zu verdanken, was die Stadt bis heute zu einem bundesweit wichtigen Ort auf der kulturellen Landkarte macht: Die großen Kulturbauten des Bundes entstanden, Haus der Geschichte und Kunsthalle. Tausende kommen jedes Jahr hierher, weil Helmut Kohl die Idee verfolgte, die so stark gewachsene Bedeutung der Bundesrepublik in Kultur auszudrücken, nicht in großen Staatsbauten. Die blieben bescheiden, wie der Bundestag, auch wenn Bonn endlich nicht mehr Hauptstadtprovisorium sein sollte. Dass es dann ganz anders kam, hat Kohl nicht davon abgehalten, Bonn weiter zu fördern. Die Stadt verdankt ihm unendlich viel.

Seine größte Leistung bleibt jedoch die deutsche Einheit. Wie es ihm gelang, nach den Zehn Punkten die Vorbehalte, Sorgen und Ängste bei den Siegermächten, den Verbündeten und vor allem bei den Gegnern Deutschlands zu zerstreuen, war ohne Beispiel. 45 Jahre Nachkriegsgeschichte mit all ihren Beschränkungen und Beklemmungen lösten sich auf. Wie er mit traumwandlerischer Sicherheit Deutschland so in Europa einfügte, dass die Einheit für alle akzeptabel wurde, ist eine außerordentliche persönliche Leistung, ein Vorgang von historischer Dimension.

Dabei passierten natürlich Fehler, und es ist die Tragik Helmut Kohls, dass immer mehr über diese Fehler gesprochen wurde als über die Leistungen. Ihm ist es nicht wie Helmut Schmidt gelungen, nach dem Ende der Amtszeit den Nachruhm zu mehren und am eigenen Denkmal zu arbeiten. Die Parteispendenaffäre zog die harte Linie, und Kohl war nicht in der Lage, diesen Schaden zu beheben, zeigte sie ihn doch als selbstherrlichen Patriarchen, dem Gesetze wenig galten.

Er blieb sich lieber selber treu und baute auf sein Renommee. Eine Fehleinschätzung. Dann suchte er sich die falschen Ratgeber, als es um seine politischen Erinnerungen ging.

Er hinterlässt eine zerrüttete Familie

Am Ende blieb Verdruss und ein Altkanzler, der sich nie gerecht wahrgenommen fühlte. Tragisch ist auch seine persönliche Geschichte, der Tod seiner ersten Frau, das zerrüttete Verhältnis zu seinen Söhnen. Dem Kanzler, dem die Geschichte immer so wichtig war, der die richtigen Schlüsse zog und handelte, er war offenbar verloren, wenn es um ihn ganz persönlich ging.

16 Jahre war Kohl Kanzler. Er hat eine ganze Generation politisch geprägt, er hat die Grundlagen geschaffen für das Deutschland und Europa, wie es heute ist. Dass seine Visionen von einem starken Deutschland in einem geeinten Europa mit einer Währung, einer Außengrenze und vielleicht sogar einer Verfassung am Ende nur in Teilen aufging und neue Probleme hervorbrachte, schmälert seine Bedeutung nicht. 25 Jahre lang hat Kohl Europa Frieden und Stabilität und Deutschland Wohlstand gebracht. Die Zeiten ändern sich, davor ist kein Politiker gefeit, und sei er noch so bedeutend.

Helmut Kohl ist tot. Jede Geschichte Deutschlands, jede Geschichte Europas und der Welt wird sich mit ihm und seiner Politik auseinandersetzen müssen. Kohl hat es verdient, dass sich der Blickwinkel wandelt und sich der graue Schleier hebt. Er sollte faire Richter bekommen, frei von den Sympathien und Antipathien, die ihn zu Lebzeiten verfolgt haben. Kohl hat es verdient. Er war ein Glück für Deutschland.

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