Haushaltsstreit zwischen Rom und Brüssel EU stellt Italien an den Pranger

Brüssel · Der Haushaltsstreit zwischen Rom und Brüssel eskaliert: Die EU-Kommission will ein Defizitverfahren gegen Rom. Italiens Premier Conte besucht Kommissionspräsident Juncker.

 EU und Italien: Wirtschaftsminister Giovanni Tria spricht bei einer Fernsehsendung.

EU und Italien: Wirtschaftsminister Giovanni Tria spricht bei einer Fernsehsendung.

Foto: dpa

Die EU-Kommission hat den Druck auf das überschuldete Italien am Mittwoch drastisch erhöht. „Mit dem, was die italienische Regierung auf den Tisch gelegt hat, sehen wir die Gefahr, dass das Land in die Instabilität schlafwandelt“, sagte der für den Euro zuständige Vizepräsident der Behörde, Valdis Dombrowskis. Er empfahl zugleich, gegen Rom ein Defizitverfahren einzuleiten. Doch dazu ist noch die Zustimmung der Finanzminister des Euro-Raums nötig. Im Dezember könnten sie entscheiden. Es ist ein hartes Vorgehen, das die Kommission nun vorschlägt, nachdem sich die Links-Rechts-Koalition am Tiber bisher nicht bereit gezeigt hat, ihre Pläne für das nächste Jahr zu ändern.

Die Bewertung aus Brüssel spricht eine eindeutige Sprache: Der öffentliche Schuldenstand lag im Jahr 2017 bei 131,2 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung – erlaubt sind 60 Prozent. Dies entspricht einer Schuldenlast für jeden italienischen Bürger von 37.000 Euro – nach Griechenland der höchste Wert in der Euro-Zone. Hinzu komme, dass der Entwurf der römischen Regierung gegenüber den Vorgaben der Kommission „erhebliche Mängel“ aufweise, da die Neuverschuldung nicht – wie vereinbart – bei höchstens 0,8 Prozentpunkten, sondern auf 2,4 Prozentpunkte angehoben werden soll.

Damit nicht genug. Die Kommission kreidet der italienischen Regierung an, „in der Vergangenheit vorgenommene wachstumsfördernde Strukturreformen, insbesondere die Rentenreform, in erheblichem Maße zurückzunehmen“. Außerdem seien die geplanten Mehrausgaben – eine Grundsicherung nach Hartz-IV-Vorbild, ein niedrigeres Renteneintrittsalter sowie Steuererleichterungen – eine „erhebliche Abweichung“ von den bisher besprochenen Maßnahmen zum Abbau des übermäßigen Defizits.

Am heutigen Donnerstag will Premierminister Giuseppe Conte bei einem Treffen mit Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in Brüssel noch einmal um Verständnis für sein haushaltspolitische Vorgehen werben. Mit einem Entgegenkommen sei nicht zu rechnen, hieß es gestern. Schließlich hatte Innenminister Matteo Salvini, Chef der rechten Lega Nord, bereits unmittelbar nach Bekanntwerden der Brüsseler Position angekündigt, man werde „Kurs halten“. Die angekündigten Maßnahmen seien notwendig, um die Wirtschaft anzukurbeln und binnen drei Jahren mit dem Abbau der Schulden beginnen zu können.

Doch diese Zeit will Brüssel der Regierung nicht lassen. Sollten die Euro-Finanzminister einem Defizitverfahren zustimmen (was bisher nur in wenigen Fällen geschehen ist), müsste Italien 0,2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes des Vorjahres (also 2017) in Brüssel hinterlegen. Bei anhaltendem Ungehorsam kann dieser Betrag dann in eine Geldbuße umgewandelt und einbehalten werden.

Dabei fiel der Gesamtbericht der Kommission eigentlich positiv aus. Noch nie waren so viele Menschen in der EU erwerbstätig: 239 Millionen im zweiten Quartal 2018. Allein seit dem Amtsantritt der Juncker-Kommission 2014 entstanden zwölf Millionen neue Jobs. Um rund fünf Millionen sank die Zahl der Bürger, die von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht sind. Sogar bei älteren Arbeitnehmern gebe es eine „erhebliche Steigerung“ der Beschäftigungsquote.

„Zu wünschen übrig“, so die EU-Kommission in ihrem Bericht, lasse dagegen die Situation von jungen Menschen ohne Ausbildung, Geringqualifizierten sowie die Beschäftigung von Menschen mit Migrationshintergrund. Und auch wenn die Teilhabe von Frauen am Arbeitsmarkt „weiter rasch zunimmt“, so habe dies bisher doch nicht „zu einer nennenswerten Verringerung des Lohn- oder Rentengefälles zwischen Männern und Frauen geführt“. Es gebe weiterhin „viel Anlass zur Sorge“.

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