Interview mit dem Präsident des Bundesrechnungshofs Dieter Engels: "Das Bonn/Berlin-Gesetz wird nicht eingehalten"

BONN · Bundesrechnungshofspräsident Dieter Engels zum Bonn-Berlin-Gesetz und dem Umgang mit dem Geld der öffentlichen Hand:

Einmal im Jahr legt Rechnungshof-Präsident Dieter Engels die "Bemerkungen" vor: In dem Papier listet die Bonner Behörde die größten Steuergeldverschwendungen des Bundes auf. Im Schnitt sind es jedes Jahr rund drei Milliarden Euro.

Einmal im Jahr legt Rechnungshof-Präsident Dieter Engels die "Bemerkungen" vor: In dem Papier listet die Bonner Behörde die größten Steuergeldverschwendungen des Bundes auf. Im Schnitt sind es jedes Jahr rund drei Milliarden Euro.

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Wenn Sie auf die Großprojekte in Berlin, Stuttgart oder auch den geplanten Tunnel nach Dänemark schauen, wie laut schrillen dann beim Bundesrechnungshof in Bonn die Alarmglocken?
Dieter Engels: Die drei Großprojekte stehen bei uns seit langem auf der Agenda. Und wie die Bürger machen wir uns große Sorgen über die explodierenden Kosten und fragen uns, warum es in diesen Fällen soweit kommen konnte. Wir haben schon vor gut fünf Jahren darauf hingewiesen, dass Stuttgart 21 mindestens 5,3 Milliarden Euro kostet. Damals war die Bahn noch von gut drei Milliarden ausgegangen. Unser Gutachten wurde beiseite gewischt. Auch beim Fehmarnbelt hatten wir schon vor Jahren deutlich höhere Kosten prognostiziert und auf Risiken hingewiesen. Den Bau des Berliner Flughafens begleiten wir ebenfalls seit Jahren kritisch.

Wie kommen solche Unterschiede zustande?
Engels: Einer der Kardinalfehler ist, dass die Kosten immer wieder kleingerechnet werden, weil man glaubt, die Projekte dann politisch leichter durchsetzen zu können. Ich glaube aber, dass die Politik an ehrlichen Kosten interessiert ist. Genau wie wir. Je länger sich solche Projekte hinziehen, desto teurer werden sie, allein schon wegen der Baupreissteigerungen. Außerdem gibt es oft Änderungswünsche. Insbesondere, wenn nicht genau genug geplant wurde und Risiken nicht richtig erfasst wurden. Das alles macht solche Projekte in der Regel nochmals teurer.

Wie teuer wird Stuttgart 21 denn jetzt nach Ihren Berechnungen?
Engels: Wir gehen nach wie vor von mindestens 5,3 Milliarden Euro aus. Was da noch draufkommt, wissen wir nicht, weil noch nicht alle Unterlagen vorliegen.

Und wie hoch ist der Schaden für den Steuerzahler, wenn das Projekt gestoppt wird?
Engels: Auch das wissen wir nicht. Bisher ist der Bund an dem Projekt mit mehr als einer halben Milliarde Euro direkt beteiligt. Aber die Bahn gehört ja auch vollständig dem Bund, was gerne vergessen wird. Ich wage da keine Prognose.

Ist nach Ihren Erkenntnissen bei Stuttgart 21 Geld aus Bundesmitteln verschwendet worden?
Engels: Nein.

Und beim Berliner Flughafen?
Engels: Hierzu haben wir keine Zahlen. Da der Bund nicht selbst baut, können wir nicht die Baustelle prüfen, sondern nur das Verhalten der Vertreter des Bundes in der Flughafengesellschaft.

Ein Dauerthema für den Bundesrechnungshof sind die Kosten aus dem Bonn-Berlin-Gesetz. Ist der doppelte Regierungssitz zu teuer?
Engels: Ganz klar nein. Die Reisekosten liegen bei weniger als zehn Millionen Euro im Jahr, und das ist angesichts eines 300-Milliarden-Haushalts eine vernachlässigbare Größe. Zumindest ist es kein Punkt, der für die Problematik entscheidend ist.

Warum dann immer wieder die Diskussion darüber?
Engels: Das Problem ist doch, dass das Bonn-Berlin-Gesetz nicht in der Lage ist, die sukzessive Abwanderung von Ministeriumsstellen nach Berlin zu stoppen. Der Riss geht inzwischen schon durch einzelne Abteilungen und sogar Referate: Der - ältere - Referatsleiter sitzt in Bonn, die jungen Mitarbeiter werden in Berlin eingestellt.

Was stört Sie daran?
Engels: Zunächst einmal, dass ein Gesetz nicht eingehalten wird. An diese Entwicklung hat damals niemand gedacht. Doch sie ist wie sie ist. Vor allem aber läuft dieser Prozess unstrukturiert und ungeordnet ab, und so etwas ist nie wirtschaftlich. Aus Sicht des Bundes wäre es gut, diese Entwicklung planbar und steuerbar zu machen.

Heißt das etwa, Sie sind für eine Abschaffung des Bonn-Berlin-Gesetzes?
Engels: Aus Sicht der Bundesstadt Bonn ist diese Rutschbahn sehr zum Nachteil. Ich kann deshalb auch gut verstehen, dass hier emotional reagiert wird und alle Hoffnungen auf dem Bonn-Berlin-Gesetz ruhen. Es nützt aber nichts, juristisch gibt es kaum eine Handhabe, das einzuklagen. So ist die Stadt auch in einer relativ hilflosen Lage, gekennzeichnet durch lautes Klagen, das außerhalb der Region Köln/Bonn allerdings auf nicht viel Verständnis stößt. Ich plädiere dafür, einen Plan B zu entwickeln.

Und wie sollte der Plan B aussehen?
Engels: Als Politiker würde ich immer versuchen, einen solchen Prozess zu gestalten, und ihn nicht weiter dem Zufall überlassen. Es geht doch vor allem um die Mitarbeiter in den Ministerien, die nicht wissen, wie es weitergeht. Bund, Land und die Stadt Bonn könnten sich an einen Tisch zusammensetzen.

Für Bonn wäre es gut, wenn ein Vertrag zustande käme, mit Inhalten, die notfalls auch gerichtlich einklagbar wären. Welche Ministerien gehören wirklich nach Berlin? Welche nach Bonn, wie etwa das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Welche Ersatzbehörden könnte man in Bonn schaffen? Auf welche Zeitschiene sollte dieser Prozess gelegt werden? Darüber ist doch noch gar nicht geordnet gesprochen worden.

Was wäre das Ergebnis?
Engels: Langfristige Planungssicherheit, vor allem auch für die vielen Tausend Mitarbeiter. Ein solcher Vertrag, wenn er vom Geiste des Bonn-Berlin-Gesetzes geprägt wäre, könnte an Stelle des jetzigen Gesetzes treten. Der Bund könnte damit gewinnen, er bekäme einen geordneten wirtschaftlichen Übergang. Bonn könnte damit gewinnen, die Stadt bekäme Planungssicherheit und eine stärkere Rechtsstellung. Ich bin davon überzeugt: Wenn wir alles so laufen lassen, wie es jetzt läuft, dann steht Bonn in wenigen Jahren mit leeren Händen da.

Der Bund hat wiederholt versucht, den Petersberg in Königswinter zu verkaufen, vor kurzem die Bemühungen aber wieder eingestellt. Was sagt der Rechnungshof dazu?
Engels: Das ist nicht zu beanstanden. Hier zählen zum einen wirtschaftliche Überlegungen. Ein Käufer hätte daneben die besondere historische Bedeutung der Immobilie berücksichtigen müssen. Ein solcher Käufer ließ sich offenbar nicht finden.

Sie sind bis 2018 zum Vorsitzenden des Hochschulrates der Uni Bonn gewählt worden. Was haben Sie vor?
Engels: Die Uni Bonn ist bereits sehr gut positioniert...

Zu den elf sogenannten Elite- Universitäten in Deutschland gehört sie - anders als die Kölner Uni - aber nicht ...
Engels: Ich halte das für nicht so entscheidend. Die Juristen, die Mathematiker, die Volkswirte - da ist viel Gold in Bonn, das auch zu Recht glänzt. Wir werden uns im Laufe der Zeit ein Bild über die Stärken und Schwächen machen und schauen, was zu tun ist. Die Kooperationen mit anderen Hochschulen sind sicher noch ausbaufähig.

Zur Person

Dieter Engels (63) hat fast sein ganzes bisheriges Leben in der Region verbracht. In Mechernich geboren, studierte er Jura an der Bonner Uni, an der er auch promovierte. Als SPD-Mitglied arbeitete er im Bundestag, bevor er 1996 Vizepräsident des Bundesrechnungshofes wurde.

Seit 2002 ist er dessen Präsident. Bereits in seinem ersten Amtsjahr prangerte er die geschönten Arbeitsvermittlungsstatistiken der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit an. Engels gilt als hervorragender Verwaltungsjurist. Seit 2001 ist er Honorarprofessor an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer. Vor wenigen Tagen wählte ihn der Hochschulrat der Bonner Universität zum Vorsitzenden. Engels, der in seiner Freizeit gerne liest, ist geschieden und hat zwei erwachsene Töchter. Er wohnt in Königswinter.

Der Bundesrechnungshof

Der Bundesrechnungshof (BRH) ist eine sogenannte Oberste Bundesbehörde mit Sitz in Bonn. In der Hierarchie der Bundesbehörden steht sie auf gleicher Stufe wie das Bundespräsidialamt, das Bundeskanzleramt und die Bundesministerien.

Kraft Grundgesetz ist der Bundesrechnungshof unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen, kein Staatsorgan kann ihn mit einer Prüfung beauftragen. Neben Bonn unterhält der Bundesrechnungshof eine Außenstelle in Potsdam, bundesweit sind dem Bundesrechnungshof sieben Prüfungsämter des Bundes nachgeordnet.

Am Bundesrechnungshof sind insgesamt knapp 1300 Mitarbeiter beschäftigt, rund 250 weniger als noch vor fünf Jahren; das Budget liegt bei 132 Millionen Euro. Der BRH prüft die Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes einschließlich seiner Sondervermögen und Betriebe; er berät die Verwaltung und das Parlament vor allem zu Fragen der Wirtschaftlichkeit; er berichtet dem Parlament und der Bundesregierung.

Neue Prüfungsgebiete sind die gesetzlichen Krankenkassen, Stützungsmaßnahmen für den Bankensektor oder der Europäische Stabilitätsmechanismus ESM. Der Bundesrechnungshof legt nach eigenen Angaben großen Wert auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Er ist auch international tätig, so bei der Prüfung internationaler Organisationen sowie der weltweiten Förderung der Grundsätze der externen unabhängigen Finanzkontrolle.

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