"Heilsamer Reformdruck" Die rot-grüne Bundesregierung setzte sich für die UN-Behindertenkonvention ein

GENF · Der 3. Mai 2008 war ein großer Tag für die Menschenrechte. An diesem Samstag trat die internationale "Konvention zum Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen" in Kraft. Die damalige UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Louise Arbour, betonte.

Inklusion - ein Wort, das vielen vor einigen Jahren noch überhaupt nichts sagte.

Inklusion - ein Wort, das vielen vor einigen Jahren noch überhaupt nichts sagte.

Foto: dpa

Lange sei die Gleichberechtigung behinderter und nichtbehinderter Menschen nur ein Traum gewesen. Doch "ist dieser Traum jetzt näher an der Realität", sagte Arbour. Das Abkommen verbietet jede Art der Diskriminierung von Menschen mit Behinderung. Sie sollen das Recht auf Arbeit, auf sozialen Schutz und auf Bildung erhalten. Die Staaten sollen die Betroffenen vor Missbrauch und Ausbeutung schützen.

Als die Konvention in Kraft trat, sprachen in Deutschland nur Fachleute von "Inklusion", also der Einbindung behinderter Menschen in die Gesellschaft, zumal in den Schulen. Zum Beispiel Heiner Bielefeldt, damaliger Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte in Berlin.

Die Konvention werde in Deutschland einen "heilsamen Reformdruck zur Humanisierung der Gesellschaft" auslösen, war sich Bielefeldt sicher. Da der Staat nun in der Pflicht stehe, behinderten Menschen einen gleichberechtigten Zugang zur Bildung zu verschaffen, stehe das gesamte Schulwesen auf dem Prüfstand, sagte Bielefeldt. In Deutschland würden Behinderte meist nicht in Regelschulen unterrichtet, sondern in speziellen Einrichtungen wie Sonder- oder sogenannten Förderschulen. Das stehe jedoch in Spannung zu dem im UN-Abkommen formulierten Grundsatz der "Inklusion", betonte der Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte.

Der behindertenpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion hingegen, Markus Kurth, rechnete kurz vor dem Beitritt Deutschlands zu der Konvention Anfang 2009 nicht mit schnellen Verbesserungen für Behinderte.

Die große Koalition aus Union und SPD, die während des Ratifizierungsprozesses 2008 die Politik in Deutschland bestimmte, habe in der deutschen Fassung der Konvention zentrale Punkte verwässert. Als Beispiel nannte er den Zugang zu Bildung.

Die Konvention verpflichte die Vertragsstaaten auf ein Schulsystem, in dem Schüler mit und ohne Behinderungen in der Regel gemeinsam unterrichtet werden - also Inklusion. Die Bundesregierung aber sei davon ausgegangen, dass sie auch mit Sonderschulen für Behinderte deren Integration fördere. Konkret geht es um den Artikel 24 der Konvention. In der offiziellen Übersetzung der Regierung heißt es: Die Vertragsstaaten hätten die Aufgabe, ein "integratives Bildungssystem auf allen Ebenen" zu schaffen.

In der sogenannten Schattenübersetzung der Konvention aber, an der unabhängige Experten beteiligt waren, ist davon die Rede, dass ein "inklusives Bildungssystem auf allen Ebenen" zu schaffen sei. Im englischen Original der Konvention steht geschrieben: "an inclusive education system at all levels".

Kurth betonte: Die Bundesrepublik Deutschland sei unter der bis 2005 amtierenden rot-grünen Bundesregierung eines der führenden Länder bei der Erarbeitung der Konvention bei den Vereinten Nationen gewesen.

Tatsächlich drängte Berlin seit Beginn der Verhandlungen in der Vollversammlung 2001 auf einen gut ausgebauten Schutz für Behinderte. So setzte sich die Bundesregierung auch für das Zusatzprotokoll ein. Das Protokoll sieht ein individuelles Beschwerderecht bei einem UN-Expertengremium im Falle der Verletzung der Konvention vor. Voraussetzung ist allerdings, dass der nationale Rechtsweg ausgeschöpft ist.

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