Kommentar zu den Kölner Silvester-Prozessen Die Mühen der Ebene

Meinung | Köln · Gut so! Dem Rechtsstaat ist Genüge getan. Die ersten Mittäter aus der Kölner Silvesternacht sind verurteilt worden – zu Freiheitsstrafen auf Bewährung und zu Geldstrafen.

Verurteilt nicht wegen sexueller Übergriffe, sondern wegen Diebstahls. Aber ist damit auch dem Rechtsempfinden Genüge getan? Sind damit die Erwartungen erfüllt, die beispielsweise der Bundesjustizminister geweckt hat, als er forderte, die Täter von Köln müssten „konsequent ermittelt und zur Rechenschaft gezogen werden“? Sie sind es nicht, sie können es gar nicht sein.

Aus der tausendköpfigen Menge heraus sind vermutlich Hunderte von Straftaten begangen worden, die wenigsten können konkreten Tatverdächtigen zugeordnet, geschweige denn einwandfrei nachgewiesen werden. Von den mehr als tausend Anzeigen wegen sexueller Übergriffe und anderer Delikte wie Taschen- oder Handyklau wird nur ein Bruchteil zu Verfahren und davon wieder nur ein Teil zu Verurteilungen führen.

Anders gesagt: Ermittlungs- und Gerichtsaufwand stehen in keinem Verhältnis zu den Taten. Können es auch nicht. Und dennoch muss dieser Aufwand sein, weil sich der Rechtsstaat ansonsten (noch mehr) aufgäbe. Der Aufwand – auch das gehört zum Gesamtbild – hat noch andere Schattenseiten. Zum Beispiel die, dass mittlerweile jeder zehnte Kölner Kriminalbeamte an der Aufarbeitung der Silvesternacht arbeitet, Anderes also liegen bleibt.

Es gibt weitere Besonderheiten: Etwa die, dass die Identität von mindestens zwei der gestern Verurteilten nicht oder nicht vollständig geklärt ist. Was ein Schlaglicht auf ein weiteres Problem wirft: Wie will man mutmaßlicher Täter habhaft werden, die ohne festen Wohnsitz, ohne eindeutige Identität, ohne legale Einkommen sowieso (Geldstrafen?) sind? In Düsseldorf ist man deshalb dazu übergegangen, Tatverdächtige in Untersuchungshaft zu nehmen, auch in den gestern entschiedenen Fällen war das so. Ein bemerkenswerter Nebeneffekt der Vorgänge: Acht Wochen U-Haft für einen Handy-Diebstahl. Köln werde keine Kuscheljustiz praktizieren, hatte der Amtsgerichtspräsident versprochen – das Versprechen ist gestern eingelöst worden.

Ein anderes noch nicht: In Berlin hat man sich parteiübergreifend auf eine Verschärfung der Ausweisung geeinigt. Bewährungsstrafen – wie die gestern – sollen dazu ausreichen. Die in Köln Verurteilten haben Glück: Das entsprechende Gesetz wird erst heute im Bundestag, morgen im Bundesrat beschlossen, tritt danach in Kraft. Doch selbst wenn es bereits gültig wäre: Konsequenzen hat es kaum. Denn die Hauptherkunftsländer der mutmaßlichen Täter – Marokko und Algerien – lehnen die Rücknahme ihrer Staatsbürger trotz entsprechender Abkommen in der Regel ab. Es wird also weiter geklaut und betatscht werden ...

So sehen die Mühen der Ebene aus, so begrenzt ist die Möglichkeit, die Kölner Silvesternacht „aufzuarbeiten“. Noch Fragen, noch Illusionen?

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