Südsudan Die Lage der Flüchtlinge ist dramatisch

BONN · Mathias Mogge hat schon viel erlebt und noch mehr gesehen. Der 50-Jährige ist Vorstand Programme und Projekte der Welthungerhilfe, der Besuch in Entwicklungsländern und Krisengebieten gehört für ihn zum Beruf. Doch was er jetzt im Südsudan erlebt hat, bedrückt ihn sichtlich.

"So viele Menschen, die dicht an dicht in Flüchtlingslagern leben, so viele Kinder, die völlig abgemagert sind, und die alle vor einer ungewissen Zukunft stehen."

Mogge kennt das Land, hat dort viele Jahre gearbeitet, war immer wieder da und eigentlich voller Zuversicht. "Das Land war auf einem ganz guten Weg nach der Unabhängigkeit im Juli 2011 - jetzt wird es durch die brutalen Gewaltakte massiv zurückgeworfen."

Mogge fühlt sich an die 90er Jahre erinnert, an die Operation "lifeline sudan", als von Kenia aus riesige Flugzeuge Lebensmittel über den ländlichen Gebieten im Südsudan abgeworfen haben, um den Menschen das Überleben zu ermöglich.

Auch das Friedensabkommen vom 9. Mai macht ihm nur wenig Hoffnung. Die Waffenruhe, auf die sich Präsident Salva Kiir und Rebellenführer Riek Machar, der ehemalige Vizepräsident, geeinigt hatten, scheint nicht zu halten.

"Es gibt nach wie vor Kämpfe, berichten unsere Mitarbeiter, die in den Krisenregionen arbeiten, immer wieder müssen sie sich vor Granateneinschlägen in Bunker flüchten."

Nothilfe ist unter solchen Bedingungen schwierig, Wiederaufbau unmöglich. "Wir brauchen dringend einen besseren Zugang zu den Menschen, die unter dem Krieg leiden, aber das ist im Moment nicht einfach."

Im Dezember ist der Konflikt in den nördlichen Regionen Unity State, Upper Nile und Jonglei ausgebrochen. "Dort wird das Öl gefördert, und das ist es, worum es wirklich geht", glaubt Mogge. "Wie so oft werden ethnische Gründe nur vorgeschoben; wer die Einnahmen aus dem Öl kontrolliert, der hat auch das Sagen und die Macht im Staat." Die Zivilbevölkerung ist dabei längst zum Kriegsobjekt geworden.

1,3 Millionen Menschen hat der Krieg nach Schätzungen der UN inzwischen zu Flüchtlingen gemacht. Viele flohen über die Grenze in Nachbarländer, aber die Mehrzahl, knapp eine Million, sind Vertriebene im eigenen Land, darauf angewiesen, in schnell von den UN und Hilfsorganisationen errichteten Camps oder bei der Bevölkerung Aufnahme zu finden. "Wir haben zum Bespiel bei Juba und an anderen Orten Zeltplanen verteilt, Wasserkanister, Küchensets."

Für die heimische Bevölkerung wird das Leben durch die Flüchtlinge noch schwerer, als es derzeit ohnehin schon ist: "Jetzt beginnt die jährliche Hungersaison, in der Nahrungsmittel sehr, sehr knapp werden", erklärt Mogge. "Die Vorräte sind aufgebraucht, die Regenzeit, in der angebaut wird, beginnt erst.

Deshalb liefert das Welternährungsprogramm, zum Teil mit Flugzeugabwürfen, Nahrungsmittel, und wir kümmern uns um Registrierung der Vertriebenen, Zwischenlagerung der Lebensmittel und Verteilung." Längerfristige Entwicklungsprojekte hat die Welthungerhilfe vorerst auf Eis gelegt. "Wir brauchen im Moment alle finanziellen und personellen Kräfte, um die Nothilfe zu organisieren."

Südsudanesische Politiker appellieren immer wieder an die Flüchtlinge, zurückzukehren und ihre Felder zu bestellen, um eine Hungerkatastrophe zu vermeiden.

"Aber ich habe keinen getroffen, der im Moment dazu bereit ist. Die Angst sitzt unglaublich tief." Welthungerhilfe-Mitarbeiter bestätigen die Meldungen über Kriegsverbrechen von beiden Seiten. "Sie berichten von Hunderten Leichen, die auf der Straße lagen, von Massakern an der Zivilbevölkerung, von blutigen Racheakten." 10 000 Menschen wurden bisher in dem Konflikt getötet.

Die Hilfsorganisationen stehen jetzt vor dem Problem, genug logistische Kapazitäten aufzubringen, um das fehlende Saatgut und landwirtschaftliche Geräte dahin zu bringen, wo sie dringend gebraucht werden. "Das ist eine Riesenherausforderung", sagt Mogge.

"Es ist nicht unmöglich, aber es wird sehr, sehr knapp. Uns läuft die Zeit davon - wir haben nur ein Zeitfenster von etwa drei Wochen." Dann wird der Regen die Wege in Schlammpisten verwandeln und unpassierbar machen.

"Wichtig ist, dass jetzt die Unterstützung nicht nachlässt", sagt Mogge. Ob das klappt, wird sich bei der Geberkonferenz in Oslo am 19./20. Mai zeigen. "Wir dürfen den Südsudan, vor allem die Bevölkerung, nicht im Stich lassen. Sie leidet unter diesem Konflikt, den sie nicht zu verantworten hat."

Mogge dreht die Uhr zurück auf 2011, das Jahr der Unabhängigkeit: "Man darf nicht vergessen: Es ist eins der allerärmsten Länder in Afrika, das praktisch von Null anfangen musste. Ein riesengroßes Land von den Ausmaßen Frankreichs und Spaniens zusammen, mit kaum vorhandener Infrastruktur wie Straßen, Schulen, Strom und Wasser. So ein Land aufzubauen, das geht nicht von heute auf morgen, das braucht Zeit." Auch ohne Krieg.

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