Ganz schön erwachsen Die Grünen-Bundestagsfraktion feiert ihren 30. Geburtstag

BERLIN · Manchmal staunen sie immer noch über sich selbst. Über ihren Marsch durch die Institutionen. Über ihren Wandel von der Anti-Parteien-Partei zum politischen Establishment der Republik. Darüber, dass sie, die jungen wilden Grünen von einst, erwachsen geworden sind. Irgendwie. Ganz schön erwachsen.

 Neue Bonner Ansicht: Erstmals sitzen Grüne im Bundestag. Im Bild die konstituierende Sitzung am 29. März 1983.

Neue Bonner Ansicht: Erstmals sitzen Grüne im Bundestag. Im Bild die konstituierende Sitzung am 29. März 1983.

Foto: dpa

Vor ziemlich genau 30 Jahren haben die Grünen unter dem kopfschüttelnden Staunen der politischen Konkurrenz erstmals ihre Sitzplätze im Deutschen Bundestag eingenommen. Sie waren gekommen, um zu bleiben. Und sie sind geblieben. Allen damaligen Unkenrufen zum Trotz, sie seien doch nur eine Zeiterscheinung, eine Bewegung, die auch wieder weiter zieht, gar ein "grüner Karnevalsverein", wie sich Franz Josef Strauß über sie lustig machte.

Am 6. März 1983 war ein bunter Trupp außerparlamentarischer Pazifisten, Atomkraftgegner, Naturschützer, Indianerfreunde und Tierschützer erstmals in den Bundestag gewählt worden. Knapp. Mit 5,6 Prozent. Sie waren die Gesandten jener Partei, die sich im Januar 1980 bei einer reichlich chaotischen Gründungsversammlung in Karlsruhe auf den Weg gemacht hatte, das alte Parteiensystem in Deutschland aufzumischen: Die Grünen. Am 29. März 1983 zogen sie dann mit 27 Abgeordneten erstmals in den Deutschen Bundestag ein.

Der ehemalige Straßenkämpfer, Sponti und Taxifahrer Joseph Martin Fischer, genannt Joschka, war einer ihren frühen Anführer. Schon damals in der ersten Bundestagsfraktion führte er das Wort, wie auch die allzeit kampfbereite Ikone der Friedens- und Anti-Atom-Bewegung Petra Kelly, die im Oktober 1992 unter nie vollständig geklärten Umständen an der Seite ihres Lebensgefährten Gert Bastian, einem früheren Bundeswehr-General, aus dem Leben schied. Bastian habe erst Kelly erschossen und anschließend sich selbst, so die Ermittler in Bonn damals zu den Todesumständen. Die Grünen waren geschockt. Die weltweite Friedensbewegung ebenso.

Die Grünen kämpften weiter. Fischer entwickelte sich zum gefühlten Vorsitzenden der Grünen, achtete dabei aber penibel darauf, bloß nie in den undankbaren Parteivorsitz gewählt zu werden.

Fischer und die Grünen. Das ist Vergangenheit. Zur Geburtstagsfeier in dieser Woche im stillgelegten Flughafen Berlin-Tempelhof mit rund 1500 Gästen gab er seiner Partei einen Korb. Doch viele der frühen Grünen sind gekommen: Christa Nickels, Hubert Kleinert, Ludger Volmer oder Marieluise Beck. Initiativen gegen Rüstungsexporte, der Ausbau Erneuerbarer Energien oder der Kampf gegen Fluglärm trieben die Grünen schon damals in ihren Anträgen an, wie Jürgen Trittin erinnert. Was er sagen will: Die Grünen hätten Zukunftsthemen eben früh erkannt und seien damals so aktuell wie heute. Winfried Kretschmann, der erste Ministerpräsident mit Grünen-Parteibuch, betont am Rande: "Die Grünen haben es geschafft, ihren Markenkern zu behalten."

Also feiern sie sich und staunen auch ein wenig, wie sehr sie selbst in die Jahre gekommen sind. Die Grünen-Spitzenkandidatin für den heraufziehenden Bundestagswahlkampf, Katrin Göring-Eckardt, sagt: "Mit 30 sind die Grünen gerade so am Anfang ihrer allerbesten Jahre."

Fünf Mark für den Liter Sprit? Göring-Eckardt erinnert an mittlerweile legendäre Parteitagsbeschlüsse wie den von 1998 in Magdeburg. Von 2,50 Euro sei man nicht mehr allzu weit entfernt. Und die Grünen seien mittlerweile "so spießig" geworden, dass sie "nicht mehr freie Liebe, sondern die Ehe für alle" forderten, spielt die Fraktionsvize auf die aktuelle Debatte über die Homo-Ehe an.

Kretschmann, als Ministerpräsident mit 64 Jahren eine Art Elder Statesman der Grünen, blickt dann doch noch einmal weit zurück. Die Parolen von einst provozieren Schmunzeln: "Wir sind gekommen, um zu bleiben." Oder der Slogan im Wiedervereinigungs-Wahlkampf 1990: "Alle reden von Deutschland. Wir reden vom Wetter." Und raus waren die West-Grünen aus dem Bundestag. Kretschmann: "Das Wetter hat uns einfach angeschifft." Heute haben sie 68 Bundestagsabgeordnete. Und Kretschmann hofft auf bestes Wetter. Am 22. September.

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