Wahlkampf in den Vororten von Paris Die Bewohner von Bobigny haben resigniert

Bobigny · Vor der französischen Präsidentenwahl eskaliert in Pariser Vorstädten die Gewalt. Viele der Bewohner haben die Hoffnung in die Politik verloren - so auch in Bobigny.

 Mehr Jobs, ein besseres Leben, aber auch mehr Anerkennung, das wünschen sich viele Menschen in Bobigny.

Mehr Jobs, ein besseres Leben, aber auch mehr Anerkennung, das wünschen sich viele Menschen in Bobigny.

Foto: dpa

Am Ortseingang von Bobigny hat bisher nur eine Partei Wahlkampfplakate aufgehängt: die trotzkistische Arbeiterbewegung Lutte Ouvrière mit ihrer Präsidentschaftskandidatin Nathalie Arthaud. Sie, die verspricht, für alle Abgehängten zu kämpfen, erhofft sich Wählerstimmen in dem Vorort im Nordosten von Paris. Er liegt im Département (Bezirk) Seine-Saint-Denis – dem ärmsten in Frankreich, das berüchtigt für seine sozialen Brennpunkte ist. Nirgendwo in Frankreich ist die Enthaltungsquote so hoch wie hier. Bei den Regionalwahlen 2015 ging nur jeder vierte Stimmberechtigte wählen. Klassenkämpferin Nathalie Arthaud dürfte daran bei der Präsidentenwahl in zwei Monaten wenig ändern. Die Menschen sind resigniert.

„Warum sollte ich wählen? Es ändert ja eh nichts“, seufzt die 24-jährige Leila, die ihre Tochter im Kinderwagen durch den Wochenmarkt am Fuße der Wohnblöcke schiebt. „Jedenfalls habe ich noch keinen gesehen, der etwas bewirkt hätte.“ Vor fünf Jahren, ja, da sei das anders gewesen. „Ich habe für François Hollande gestimmt, wie alle hier“, sagt die junge Frau, die für ihre Arbeit als Kellnerin nach Paris pendelt. Tatsächlich erhielt der Sozialist Hollande damals in Bobigny einen Spitzenwert von 76,7 Prozent in der Stichwahl gegen den amtierenden konservativen Präsidenten Nicolas Sarkozy. „Hollande hat einen Aufschwung der Wirtschaft versprochen“, so Leila. „Aber darauf warten wir immer noch.“

Mehr Jobs, mehr Kaufkraft, ein besseres Leben, aber auch mehr Anerkennung, das wünschen sich viele Menschen in den sozial benachteiligten Vorstädten Frankreichs, den Banlieues. Sterile Hochhaustürme prägen sie. Gebaut wurden sie in den 60er und 70er Jahren, als die französische Wirtschaft boomte, für die Arbeiter aus den ehemaligen Kolonien in Nord- und Westafrika. Inzwischen leben darin ihre Kinder und Enkel – aber Arbeit gibt es nur noch wenig, nach und nach schlossen die Fabriken. Viele Bewohner fühlen sich als Franzosen zweiter Klasse, stigmatisiert und ausgeschlossen durch ihre Herkunft und Hautfarbe.

Hohe Wellen schlug die brutale Misshandlung eines jungen Schwarzen durch Polizisten bei einer Personenkontrolle im Pariser Vorort Aulnay-sous-Bois vor einigen Wochen: Der gedemütigte Théo L. wurde zum Symbol für Polizeigewalt und Rassismus, gegen die Tausende Menschen demonstrierten. Doch den friedlichen Protest störten gewalttätige Krawallmacher. Das weckte Erinnerungen an die Herbstmonate 2005 und 2007, als sich junge, aufgebrachte Banlieue-Bewohner wochenlang gewaltsame Straßenschlachten mit den Sicherheitskräften lieferten. Seither lancierte der Staat zwar Renovierungs- und Integrationsprojekte, doch die Probleme blieben.

Im Wahlkampf spielen diese kaum eine Rolle und wenn, dann geht es meist um den Sicherheitsaspekt. Fast alle Kandidaten, vom Konservativen François Fillon über die Rechtspopulistin Marine Le Pen bis zum Sozialliberalen Emmanuel Macron, versprechen die Schaffung Tausender neuer Polizeistellen. Macron will in sozial benachteiligten Orten die Zahl der Grundschüler pro Klasse halbieren.

Der sozialistische Präsidentschaftskandidat Benoît Hamon verspricht, Diskriminierung bei der Job- oder Wohnungsvergabe zu bekämpfen. Die Entwicklung „sozialer Ghettos“ gehe einher mit dem Aufkommen von religiösem Fundamentalismus, warnt er. Junge Männer in den Vororten gelten als besonders empfänglich für die Botschaften extremistischer Organisationen. Auch wenn sie sich nicht radikalisieren, driften viele in Kleinkriminalität ab; der Drogenhandel floriert.

„Unten an meinem Hauseingang hängen sie rum und dealen“, klagt die 59-jährige Kheira Hamzoui aus Bobigny. „Ständig ist die Polizei da.“ Am besten von allen Kandidaten gefällt der Algerierin Macron, der 39-jährige frühere Wirtschaftsminister, der die üblichen Gräben zwischen links und rechts überwinden will. „Ich bin für die Jugend, die soll es besser machen“, sagt sie lächelnd. Glaubt sie an eine schönere Zukunft auch für ihre Stadt? Kheira zuckt die Schultern, ein wenig ratlos. Dann geht sie weiter.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort
Ein Schmaler Grat
Kommentar zum Gesetz zur leichteren Abschiebung Ein Schmaler Grat