Referendum in der Türkei Deutsch-türkische Eiszeit

Berlin · Wie es nach dem Referendum zwischen Berlin und Ankara weitergeht, ist unklar. Das Kanzleramt reagiert zunächst verhalten.

 Anhänger der türkischen Regierungspartei zeigen am Sonntag vor der AKP-Zentrale in Ankara mit leuchtenden Smartphones Flagge.

Anhänger der türkischen Regierungspartei zeigen am Sonntag vor der AKP-Zentrale in Ankara mit leuchtenden Smartphones Flagge.

Foto: dpa

Wie geht es weiter mit den deutsch-türkischen Beziehungen, nachdem der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sein auf ihn zugeschnittenes Präsidialsystem mit knapper Mehrheit durchgebracht hat? Die zunächst verhaltene Reaktion aus dem Kanzleramt deutet darauf hin, dass die deutsche Regierung auf weitere Signale aus Ankara wartet. Vorsorglich verwiesen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Sigmar Gabriel in einer gemeinsamen Erklärung an die „große Verantwortung“ die Erdogan „persönlich“ für die tief gespaltene türkische Gesellschaft trage.

In der Endphase hatte Erdogan ein weiteres Mal die deutsche Karte gespielt. Die über mehrere Wochen laufenden Nazi-Vergleiche unterließ er zwar, doch wollte er das Referendum zu einem „Denkzettel“ in Richtung Deutschland machen. Hier haben sich offenbar tief sitzende Aversionen gebildet, die nicht mehr mit einer taktischen Aufwiegelung der Türken in Deutschland zu tun haben können; die hatten ihr Referendum bereits vor einer Woche beendet. Dass gut 63 Prozent der Wahlberechtigten in Deutschland für Erdogan stimmten, in NRW mit besonders vielen Referendums-Teilnehmern noch deutlich mehr, eröffnet eine neue deutsch-türkische Debatte. „Das Referendum spaltet auch unser Land“, erklärte CDU-Vize und NRW-Spitzenkandidat Armin Laschet. Er rief Ministerpräsidentin Hannelore Kraft auf, den „integrationsschädlichen“ Plan für ein kommunales Ausländerwahlrecht zu stoppen. „Der gesellschaftliche Zusammenhalt braucht eine Offensive für die Werte des Grundgesetzes und keine Geschenke an Erdogan“, sagte Laschet unserer Redaktion. Ein kommunales Wahlrecht ohne Rechte und Pflichten eines Staatsbürgers, wie es die SPD wolle, führe dazu, dass bald Erdogan-Vertreter in jedem NRW-Stadtrat säßen.

Wegen der geringen Wahlbeteiligung gibt es für den EU-Parlamentsvizepräsidenten Alexander Graf Lambsdorff (FDP) keinen Grund, mit dem Finger auf Türken in Deutschland zu zeigen. Offenbar sei die Politik in der Türkei nicht ihre Hauptsorge, sondern das Leben in Deutschland, und das sei ein „gutes Zeichen“. Im deutsch-türkischen Verhältnis sei es nun „an Erdogan, von der Palme wieder herunterzukommen, auf die er im Wahlkampf geklettert ist“. Allerdings sei das deutsch-türkische Verhältnis „viel mehr als die Beziehungen zwischen der Bundesregierung mit Herrn Erdogan“.

Klare Vorstellungen hat jedenfalls Bundesinnenminister Thomas de Maizière von den nächsten Schritten: „Ich erwarte, dass sich gerade die Türken und die Deutsch-Türken in Deutschland an einer Debatte zu einer konstruktiven gemeinsamen Zukunft beteiligen“, sagte der CDU-Politiker unserer Redaktion. „Ein weiteres Auseinanderdriften unserer Kulturkreise kann und darf es bei uns jedenfalls nicht geben.“

CDU-Außenexperte Jürgen Hardt verwies auf das äußerst knappe Ergebnis für Erdogan. „Unter fairen Bedingungen wäre das Referendum gescheitert“, las er daraus, und diese Wahrheit werde die Türkei in den nächsten Jahren wie ein Mühlstein belasten. Dass trotz massiver Einschüchterungen fast die Hälfte der Bevölkerung mit „Nein“ gestimmt habe, sei ein „Signal, das Mut macht“, meinte Linke-Außenpolitiker Stefan Liebich. Seine Konsequenz: „Auf deren Seite muss die Bundesregierung sich jetzt stellen.“ Er sah in dem Referendum die Bestätigung für alte Linke-Forderungen: Abzug der Bundeswehr aus Incirlik, Ende der Waffenexporte, Aufkündigung des Flüchtlingsdeals.

Auch für die Grünen müssen nun die „politischen, wirtschaftlichen und militärischen Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei auf den Prüfstand“. Ziel deutscher Handlungen sollten nach Einschätzung des Außenexperten Omid Nouripour „der Schutz der einen Hälfte der Türken sein, die keine Erdokratie wollen“. Nach der Analyse von SPD-Außenpolitiker Niels Annen hat die von Erdogan bewusst herbeigeführte Polarisierung „dem deutsch-türkischen Verhältnis erhebliche Schäden zugefügt“. Auch er plädiert dafür, der Unterstützung der rund 50 Prozent der Bevölkerung, die für Demokratie gestimmt hätten, Priorität in der deutschen Türkei-Politik einzuräumen. „Wir werden darauf bestehen, dass auch in einem Präsidialsystem Meinungs- und Pressefreiheit gewährleistet werden müssen“, kündigte Annen an.

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