Fazil Say Der türkische Pianist steht wegen Islam-Beleidigung vor Gericht

ISTANBUL · Omar Khayyam fehlte vor Gericht. Dabei werden ihm jene Zeilen zugeschrieben, die der türkische Pianist Fazil Say per Twitter verbreitete und die dem Künstler eine Anklage wegen anti-islamischer Hetze einbrachten.

 Vor Gericht wies Say alle Anschuldigungen zurück.

Vor Gericht wies Say alle Anschuldigungen zurück.

Foto: ap (Archiv)

Vor einem Istanbuler Gericht begann am Donnerstag ein Strafprozess gegen Say, der mit Khayyams Zeilen den Islam beleidigt haben soll - die Anklage fordert anderthalb Jahre Haft für den über die Türkei hinaus bekannten Pianisten und Komponisten.

Dass Khayyam fehlte, hatte einen Grund: Der persische Dichter und Mathematiker lebte im 11. Jahrhundert. Dass im EU-Bewerberland Türkei die Anleihe bei einem tausend Jahre alten Gedicht ausreicht, um vor Gericht zu landen, gehört zu den Merkwürdigkeiten. Drei Bürger hatten sich nach Verbreitung von Says Twitter-Botschaften bei der Staatsanwaltschaft gemeldet, weil sie sich in ihren religiösen Überzeugungen angegriffen fühlten.

Die Anklagebehörde beschuldigte den Atheisten Say der religiösen Hetze nach Paragraph 216 des Strafgesetzbuches. "Sehr absurd" und "ein schlimmes Zeichen" sei das, sagte die deutsche Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen (Linke), die zur Prozessbeobachtung gekommen war.

"Ihr sagt, im Himmel fließen Bäche von Wein - ist das Paradies denn eine Kneipe für euch? Ihr sagt, auf jeden Gläubigen warten zwei Jungfrauen - ist das Paradies denn ein Bordell?" twitterte Say in Anlehnung an Khayyams Gedicht.

Außerdem macht er sich über einen Muezzin lustig, der es mit einem Gebetsruf sehr eilig hatte - der Mann habe wohl zur Freundin oder zur Schnapsflasche zurückkehren wollen, kommentierte Say. Einige seiner Kommentare waren lediglich sogenannte Re-Tweets, also Weiterleitungen von Beiträgen anderer Twitter-Nutzer. Angeklagt wurde aber nur der als Regierungskritiker bekannte Pianist.

Vor Gericht wies der ganz in Schwarz gekleidete Say alle Anschuldigungen zurück. Nach Angaben von Prozessbeobachterin Dagdelen traten die Kläger "sehr aggressiv" auf. Says Anwälte hielten dagegen, die Kläger hätten durch die Twitter-Botschaften keinerlei Schaden erlitten, und beantragten den sofortigen Freispruch für ihren Mandanten. Richter Hulusi Pur lehnte ab und vertagte das Verfahren nach rund einer Stunde auf den 18. Februar.

Während türkische Säkularisten Fazil Say wegen seiner offenen Kritik an der Erdogan-Regierung bewundern, hat er in der Regierungspartei AKP naturgemäß nur wenig Freunde.

Unterstützung erhielt Say, der lange in Deutschland studierte, aus dem Ausland. Sevim Dagdelen zeigte sich in Istanbul erschrocken über die engen Grenzen der Meinungsfreiheit und die "traurige Wirklichkeit in der Türkei", die einen solchen Prozess überhaupt erst ermöglichte.

Mehr als 100 deutsche Bundestagsabgeordnete kritisierten das Verfahren in einem Brief an Ministerpräsident Erdogan, der in zwei Wochen in der Bundesrepublik erwartet wird. Kurz nach Erdogan wird auch Say in Deutschland sein: Seine nächsten Konzerte sind für den 10. und 11. November in Frankfurt geplant.

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