Antimafia-Held in Italien Der furchtlose Straßenpriester kämpft gegen die Mafia

Rom · Don Luigi Ciotti ist Italiens bekanntester Straßenpriester. Er kämpft für die Schutzlosen, gegen Ungerechtigkeiten, die Mafia und ist selbst in Lebensgefahr. Doch es gibt zunehmend Kritik an ihm.

 Papst Franziskus und Luigi Ciotti (r.) beten für die Opfer der Mafia.

Papst Franziskus und Luigi Ciotti (r.) beten für die Opfer der Mafia.

Foto: picture alliance / dpa

Wenn Luigi Ciotti auf dem Podium sitzt, können es die Zuhörer kaum erwarten, dass er das Wort ergreift, der Straßenpriester, der Antimafia-Held, der Furchtlose. Ciotti spricht mit ausladenden Gesten und sagt Sätze wie: „Nur das Wir kann Veränderungen und soziale Gerechtigkeit erzeugen.“ Im Dienste der Gerechtigkeit ist der 71-jährige Turiner ständig unterwegs. An diesem Donnerstag verleiht die Universität Augsburg ihm den mit 10.000 Euro dotierten Mietek-Pemper-Preis für seine Verdienste um Versöhnung und Völkerverständigung.

Zwei Schlüsselmomente gab es in Ciottis Leben. Zum Einen das Zweite Vatikanische Konzil, das 1965 zu Ende ging. Ciotti war 20 Jahre alt und fasziniert von einer Kirche, die ihre Gläubigen das Streben nach Erneuerung gestattete. Der junge Ciotti gründete eine Gruppe, die sich den Namen „Abel“ gab, nach dem von seinem Bruder Kain aus Neid erschlagenen Sohn Adams und Evas aus dem Alten Testament. Die „Gruppo Abele“ kümmerte um die Resozialisierung von Gefangenen und erstmals in Italien um HIV-Kranke. Als Michele Pellegrino den 27-jährigen Ciotti 1972 zum Priester weihte, vertraute er ihm keine gewöhnliche Pfarrei an. Ciottis Pfarrei sei die Straße, sagte der Turiner Kardinal. Ciotti und seine Mitstreiter nahmen sich der Drogen- und Spielsüchtigen, der Zwangsprostituierten und Migranten an.

Ein zweiter entscheidender Moment im Leben Ciottis waren die Attentate der sizilianischen Cosa Nostra auf zwei Staatsanwälte im Jahr 1992. „Wenn die Mafia nur ein kriminelles Problem wäre, würden Polizei und Staatsanwaltschaft zu ihrer Bekämpfung ausreichen“, sagt Ciotti. Um sie zu besiegen müsse sich aber die Gesellschaft ändern. 1995 gründete der Priester die Antimafia-Organisation Libera, deren Präsident er bis heute ist.

Ergebnisse hat Ciotti zuhauf vorzuweisen. Gleich eine der ersten Aktionen von Libera war ein großer Erfolg. Die Gruppe sammelte mehr als eine Million Unterschriften für eine Gesetzesinitiative, der zufolge beschlagnahmte Mafiaimmobilien sozialen Zwecken zugeführt werden können. Das Gesetz trat 1996 in Kraft und änderte die Kriminalitätsbekämpfung in Italien nachhaltig. Heute koordiniert Libera als Netzwerk 1600 Vereine und Kooperativen, arbeitet mit über 5000 Schulen und 64 Universitäten zusammen.

Längst ist Ciotti selbst ins Fadenkreuz der Mafia geraten. Seither begleiten Carabinieri den Straßenpriester bei allen Auftritten und Reisen. Don Ciotti gibt sich gelassen. Ihn könne man eliminieren, aber Libera sei „ein Kosmos, der nicht mehr so leicht zu besiegen ist“, sagt er.

Dabei brachte das rasante Wachstum der Organisation auch Probleme. Vor einem Jahr gerieten mehrere Persönlichkeiten, die sich öffentlich auf die Seite der Antimafia-Kämpfer geschlagen hatten, ins Zwielicht. Die Anschuldigungen, Libera habe den ursprünglichen Pfad verlassen und sei in einigen Fällen selbst unterwandert worden, häuften sich. Prominente und Politiker verteidigten Libera gegen die Diffamierung. Doch offenbaren die Anklagen einen wahren Kern: Das Netzwerk mit all seinen Teilorganisationen ist nicht mehr leicht zu überblicken. Und Don Ciotti ist ein Tausendsassa, der sich gelegentlich verzettelt, denn er kennt kein Zuviel. „Ich bin nur ein kleiner Mann, der in Legalität und Gerechtigkeit verliebt ist und nur zwei Bezugspunkte hat, das Evangelium und die Verfassung“, sagt er.

Das kann man naiv finden. Andererseits: Wo Ungerechtigkeiten sind, kann es eigentlich gar keine Grenzen des Engagements geben.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort