Interview mit Jean-Claude Juncker Der frühere Chef der Eurogruppe über Euro-Krise und Europas Einigung

BONN · Europas Einigung, die Gemeinschaftswährung Euro und ihre Krise, der rauer werdende Ton unter den Europäern und die Hilfe im deutschen Wahlkampf: Mit dem luxemburgischen Premierminister und früheren Chef der Eurogruppe, Jean-Claude Juncker, sprach Alexander Marinos.

Herr Premierminister, zum Ende Ihrer achtjährigen Amtszeit als Chef der Eurogruppe haben Sie gesagt, man höre auf, ein freier Mann zu sein. Nun sind Sie frei. Wie fühlt sich das an?
Jean-Claude Juncker: Ich bin eher heiter und gelassen. Ich fühle mich von einer Bürde befreit, obwohl ich mit Herz und Verstand bei jenen bin und bleibe, die direkte Verantwortung für die Eurozone tragen.

Haben Sie drei Kreuze gemacht, dass Sie die Zypern-Krise nicht mehr an vorderster Front managen mussten?
Juncker: Nein, es hätte mich auch gereizt, die Lösung so zu stricken, dass sie von Anfang an gepasst hätte. Aber nachdem ich acht Jahre Krisenmanagement betrieben habe, weine ich der entgangenen Chance nicht nach.

Glauben Sie, dass die Eurogruppe - und an der Spitze Deutschland - ähnlich hart verhandelt hätte, wenn es sich um ein systemrelevantes Land gehandelt hätte und nicht um das kleine Zypern?
Juncker: Für mich war Zypern immer ein systemrelevantes Land. Ich bin der Auffassung, dass jedes Euroland, das in Schwierigkeiten steckt, ein systemisches Risiko für die Eurozone darstellt. Ich hatte schon im Dezember darauf hingewiesen, dass die Krise in Zypern weitaus schwieriger zu lösen ist als in Griechenland, und das hat sich auch als zutreffend herausgestellt.

Sie sind ja auch der Regierungschef eines kleinen Landes. Inwiefern gibt es da eine Solidarität unter den kleinen Ländern der Europäischen Union und Euroländern?
Juncker: Auch als kleines Land sollte man nicht nur mit kleinen Ländern solidarisch sein, sondern auch mit größeren. Solidarität misst sich nicht an der Größe eines Landes, sondern an der Problemmasse, die es zu bewältigen gilt. Insofern muss Solidarität für alle gelten - obwohl ich mir gerade im Falle Zyperns eine etwas zärtlichere Ausdrucksweise gewünscht hätte, wenn es um die Bewertung Zyperns ging.

Sie haben unter anderem den deutschen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble im Visier?
Juncker: Nein, ich habe da niemanden speziell im Visier. Ich glaube, Wolfgang Schäuble hat nach Kräften dazu beigetragen, dass hier eine wasserdichte Lösung herbeigeführt werden kann.

Ihr Außenminister, Jean Asselborn, war da deutlicher und hatte die Bundesregierung in Berlin davor gewarnt, andere Länder in der Eurozone wie Zypern zu verletzen.
Juncker: Er hat darauf aufmerksam gemacht, dass man die Lage eines Landes nicht nur angesichts der Größe seines Finanzplatzes beurteilen darf. Man hat ja im Falle Zyperns darauf hingewiesen, dass das Bankensystem hier ein Vielfaches des Bruttoinlandsproduktes umsetzt. Diese Feststellung könnte man auch im Falle Luxemburgs treffen, obwohl die Struktur des Finanzplatzes in keinerlei Weise vergleichbar ist.

Wenn also jemand sagen würde, das Bankensystem in Luxemburg ist ähnlich aufgeblasen wie in Zypern ...
Juncker: ... dann würde ich ihn darauf aufmerksam machen, dass sich die Bankenlandschaft in Zypern dadurch auszeichnet, dass sie aus vier nationalen Banken besteht, während der Bankenplatz Luxemburg ein völlig anderes Geschäftsmodell hat. Wir verfügen hier über 155 Banken, die von zwei Ausnahmen abgesehen alle ihren Hauptsitz im Ausland haben. In Luxemburg geht es auch nicht darum, unversteuertes Geld anzulocken. Die luxemburgischen Banken zahlen auch nicht so hohe Zinssätze wie die zyprischen Banken. Insofern bin ich da ganz unbesorgt.

Beim Geld hört ja bekanntlich die Freundschaft auf.
Juncker: Meistens schon vorher.

Wieviel Porzellan ist in den vergangenen Tagen auf europäischer Ebene zerschlagen worden?
Juncker: Weil die Eurogruppe bei ihrem ersten Lösungsansatz die Kleinsparer in Zypern mit belangen wollte, ist überall in der Eurozone der Eindruck entstanden, dass die europäische Einlagengarantie bis zu 100.000 Euro jederzeit in Frage gestellt werden kann.

Da ist massiv Vertrauen zerstört worden, auch in Deutschland. Wie konnte so ein schwerer Fehler passieren?
Juncker: Ich habe mir erklären lassen, dass die zyprische Regierung selbst Kleinanleger belangen wollte, um die größeren Anleger nicht mit überhöhten Einbußen heranzuziehen und so womöglich dauerhaft zu verschrecken. Das war eine Ungeschicklichkeit größeren Ausmaßes.

Hätte Ihnen das auch passieren können?
Juncker: Es ergibt wenig Sinn, darüber nachzudenken.

Porzellan wurde ja nicht nur mit Blick auf das Vertrauen in das europäische Bankensystem zerstört. Zwischen den Europartnern waren Misstöne zu vernehmen, wie sie unter Freunden nicht üblich sind und nicht üblich sein sollten. Hat Europa insgesamt Schaden genommen?
Juncker: Ich habe mich schon auf dem Höhepunkt der Griechenland-Krise öffentlich darüber beklagt, dass der Ton rauer geworden ist. Ich habe die Art und Weise, wie einige Politiker in Deutschland - gottlob nicht alle und gottlob nicht die wichtigsten - sich mit Griechenland auseinandergesetzt haben, als ungebührend empfunden. So redet man über andere Nationen nicht. Wie die deutsche Kanzlerin nun mit Nazi-Uniform abgebildet durch die Straßen von Zypern getragen wird, habe ich als absolut abstoßend empfunden. Diese Ressentiments, die jetzt hochkommen, sind in höchstem Maße besorgniserregend und zeigen, wie fragil die europäische Konstruktion trotz der Erfolge der vergangenen Jahrzehnte geblieben ist.

Hätten Sie das vor zwei, drei, vier Jahren für möglich gehalten?
Juncker: Ich habe immer vermutet, dass unter der Oberfläche noch vieles brodelt, und habe immer gedacht: Noch sind nicht alle Feuer ausgetreten worden. Ich war dann dennoch überrascht, mit welcher Entladungskraft diese Ressentiments zur Oberfläche vordrangen.

Dem "Spiegel" haben Sie vor einiger Zeit in einem Interview gesagt, wer glaube, die Frage von Frieden und Krieg habe sich in Europa endgültig erledigt, könnte sich irren. Ist das nicht etwas zu melodramatisch?
Juncker: So war es nicht gemeint. Es war ein Zuruf in die Richtung jener, die unbesorgt ihr Tagesgeschäft erledigen und sich mit der Frage nicht mehr beschäftigen, wie schnell es gehen kann, den Frieden aufs Spiel zu setzen. Das ist in der Vergangenheit öfter sehr schnell gegangen. Ich sehe uns nicht am Vorabend des dritten Weltkrieges. Ich mache nur darauf aufmerksam, dass man in Europa nie denken sollte, Frieden sei eine Selbstverständlichkeit. Vor 15 Jahren noch wurde im Kosovo gemordet und vergewaltigt. Das ist mitten in Europa passiert.

Welche besondere Rolle sehen Sie für die deutsche Bundeskanzlerin, um die Bedeutung Europas zu betonen und zu bewahren?
Juncker: Sie hat eine hervorgehobene Rolle wahrzunehmen, wenn es um die Förderung harmonischen Ausgleiches auf dem europäischen Kontinent geht - und sie nimmt das auch wahr.

Ist das der Grund, dass Sie für Angela Merkel in diesem Jahr Wahlkampf machen wollen?
Juncker: Mir wurde die Frage gestellt, ob ich Wahlkampf machen würde, wenn man mich einlädt. Ich habe das, wie in den vergangenen Jahren schon, bejaht. Aber ich habe auch an unzähligen Veranstaltungen der SPD oder der Grünen teilgenommen, ohne dass das der CDU geschadet hätte. Die CDU ist die Schwesterpartei meiner Partei, und in Europa ist es normal, über die Grenzen hinweg Wahlkampf zu führen. Aber ich stürze mich nicht Hals über Kopf in den deutschen Wahlkampf.

Auf die letzte Frage werden wir keine Antwort bekommen: Welches Amt streben Sie noch an?
Juncker: Dasjenige, das ich jetzt habe.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort