Interview mit Hans-Dietrich Genscher Der ehemalige Außenminister über die Ausspähaffäre

BONN · "Wenn das stimmt, ist das ungeheuerlich." Hans-Dietrich Genscher, langjähriger Außenminister und FDP-Chef, sieht die deutsch-amerikanischen Beziehungen auf eine schwere Probe gestellt.

 Fordert lückenlose Information: Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher.

Fordert lückenlose Information: Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher.

Foto: dpa

Was war Ihre spontane Reaktion, als Sie von den Vorwürfen der Bundeskanzlerin an die amerikanische Adresse hörten?
Hans-Dietrich Genscher: Wenn das stimmt, ist das ungeheuerlich. Wenn man schon so mit der Bundeskanzlerin verfährt, worauf muss sich dann der deutsche Normalbürger einstellen? Wir sind eine transatlantische Wertegemeinschaft.

Haben Sie Zweifel am Wahrheitsgehalt der Vorwürfe,die jetzt erhoben werden?
Genscher: Ich würde mir wünschen, dass sie unzutreffend sind. Aber wenn die Bundeskanzlerin selbst zum Telefon greift, um den amerikanischen Präsidenten anzurufen, dann wird sie ihre schwerwiegenden Gründe haben. Man kann nur hoffen, dass die Bedeutung dieses Anrufs in Washington richtig eingeschätzt wird. Das deutsch-amerikanische Verhältnis - und dazu gehört ein über Jahrzehnte erworbenes gegenseitiges Vertrauen - gehört zu den kostbarsten Ergebnissen der deutschen Nachkriegspolitik. Es ist deshalb erforderlich, dass eine schonungslose Aufklärung und lückenlose Information der Bundesregierung zur Schadensbegrenzung führen.

Können Sie sich vorstellen, dass es ein Abhören deutscher Spitzenpolitiker durch US-Behörden schon früher einmal gab?Genscher: In der Besatzungszeit würde ich das nicht ausschließen. Aber das vereinte Deutschland ist ein souveränes, in seiner Souveränität durch nichts mehr eingeschränktes Land und es gehört zu den engsten und wichtigsten Partnern der USA. Eine solche Partnerschaft verlangt gegenseitiges Vertrauen.

Welche Konsequenzen wird der Vorgang für die deutsch-amerikanischen Beziehungen haben?
Genscher: Ich hoffe, dass die amerikanische Reaktion und Information dazu beitragen, dass das deutsch-amerikanische Verhältnis, das zu den zentralen transatlantischen Bindungen gehört, unbeschädigt bleibt.

[kein Linktext vorhanden]Reicht eine bilaterale Auseinandersetzung oder ist in diesem Fall auch die EU gefordert?
Genscher: Die EU hat schon gehandelt durch den Beschluss des Europäischen Parlaments vom 23.10.2013 (Darin fordert es, als Reaktion auf den NSA-Skandal, das Swift-Abkommen mit den USA vorerst auszusetzen. Dieses Abkommen erlaubt den USA Zugriff auf Bankbewegungen im Fall eines Terrorverdachts, d.Red.). Es handelt sich hier in der Tat nicht nur um eine deutsch-amerikanische Frage, sondern der Vorgang berührt auch das europäisch-amerikanische Verhältnis. Ich frage mich: Waren sich die Akteure dieser unvertretbaren Maßnahme nicht der Bedeutung bewusst, die das deutsch-amerikanische und das europäisch-amerikanische Verhältnis haben? Die Bürgerinnen und Bürger diesseits und jenseits des Atlantik fühlen sich tief miteinander verbunden und wollen, dass das transatlantische Verhältnis gepflegt und nicht belastet wird. Wir brauchen einander!

Zur Person

Hans-Dietrich Genscher, 1927 in Reideburg geboren, war von 1969 bis 1974 Bundesinnenminister und von 1974 bis 1992 Bundesminister des Auswärtigen und Vizekanzler. Von 1974 bis 1985 führte er die FDP, deren Ehrenvorsitzender er ist. Genscher lebt mit seiner Frau Barbara in Wachtberg-Pech.

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