Interview mit Thomas Jäger "Der Zweck der Sanktionen ist unklar"

KÖLN · Der Westen hat in der Ukraine-Krise Sanktionen gegen Russland verhängt. Russlands Präsident Wladimir Putin reagierte mit Gegensanktionen. Über den Sinn und Zweck der Maßnahmen sprach Julian Stech mit Professor Thomas Jäger, Inhaber des Lehrstuhls für internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln.

In der Ukraine-Krise beharken sich der Westen und Russland gegenseitig mit Sanktionen. Was bringen solche Sanktionen politisch überhaupt?
Thomas Jäger: Sanktionen haben nur ganz selten ihren politischen Zweck erfüllt. In wenigen ganz intensiven Fällen haben sie etwas gebracht, etwa gegen das Apartheid-Regime in Südafrika. Ansonsten treffen Sanktionen erstens häufig die Falschen und bewirken zweitens politisch kaum etwas. Wirtschaftlichen Schaden richten sie allerdings an.

Warum werden sie dann immer noch angewendet?
Jäger: Sanktionen sind symbolische Politik. Man signalisiert zum einen, dass man mit einer bestimmten Situation nicht einverstanden ist und dass man etwas dagegen unternehmen kann - auch wenn die direkte Einflussnahme gering ist. Zum anderen mobilisieren Sanktionen innenpolitische Kräfte. Da gibt es Gewinner und Verlierer - auf beiden Seiten. Es werden zum Beispiel Wirtschaftsbranchen aktiv, die versuchen, Einfluss auf die Art der Sanktionen so zu nehmen, dass sie davon Vorteile haben.

Hat denn konkret die deutsche Wirtschaft Einfluss auf die Sanktionen gegen Russland?
Jäger: Die USA nehmen das auf jeden Fall so wahr. Washington hat den Eindruck, dass sich Berlin unter dem massiven Einfluss der Wirtschaft gegen härtere branchenweite Sanktionen gegen Russland wehrt. Die USA wollten schon viel früher solche Sanktionen und haben als erste derartige Schritte unternommen. Europa und vor allem Deutschland waren lange dagegen. Erst nach dem Abschuss des Passagierflugzeugs hat sich die Haltung der Europäer geändert.

Wie beurteilen Sie denn die konkreten Sanktionsschritte gegen Russland?
Jäger: Die Frage lautet: Sind die Sanktionen dazu geeignet, die Politik des Kreml in eine gewünschte Richtung zu lenken? Hier geht der Westen sozusagen Wetten ein: Indem sich Sanktionen gegen bestimmte politische und wirtschaftliche Führungspersonen richten, diesen finanziell schaden sollen, wettet man darauf, dass diese Personen wiederum Druck auf Putin ausüben, seine Politik zu ändern. Ein solcher gemeinsamer Druck etwa der Oligarchen auf Putin zeigt sich bisher allerdings nicht. Im Übrigen ist Russland für den Westen teilweise eine Art Blackbox: Es ist extrem schwer zu durchschauen, wer jeweils wirklich bestimmenden Einfluss auf die Entscheidungen hat.

Die Sanktionen könnten auch Solidarisierungseffekte erzeugen ...
Jäger: Richtig. Nach dem Motto: Wir lassen uns nicht unterkriegen. Die Sanktionen werden von Russland auch als Chance begriffen, die russische Industrie neu aufzustellen und mit anderen Staaten engere wirtschaftliche Kontakte zu knüpfen. Als es hieß, es gibt landwirtschaftliche Sanktionen, wurden am nächsten Tag Gespräche mit Argentinien und Brasilien vereinbart. Sanktionen haben immer auch die Wirkung, dass man neue Wege geht.

Also auf den Punkt gebracht: Die Sanktionen spalten den Westen und stärken Russland?
Jäger: Im Moment würde ich dem in der politischen Wirkung zustimmen. Wirtschaftlich schaden sich beide Seiten. Die Lage kann sich politisch aber ändern. Es ist sehr gut möglich, dass sich mittelfristig genau die gewünschten politischen Folgen einstellen, dass sich nämlich bestimmte Gruppen von Putin lossagen. Die Frage ist ja, wie lange kann Russland die Sanktionen durchhalten und welche Wirkungen haben mögliche Gegensanktionen. Die Zeitschiene ist bei Sanktionen von großer Bedeutung. Früher kam es im Verlauf von Sanktionen häufig dazu, dass sich neue Handelswege eröffneten und die Wirkung verpuffte. Das kann heute aber anders sein.

Inwiefern? Gibt es da eine historische Entwicklung?
Jäger: Ja, seit zehn Jahren etwa gibt es eine neue Form von Sanktionen, die deutlich mehr Wirkung entfalten, und das sind die Finanzkriegsinstrumente. Diese Instrumente wurden in den USA in der Folge der Terroranschläge vom 11. September entwickelt. Zunächst ging es darum, der Terrorfinanzierung den Boden zu entziehen. Das ist auch weitgehend gelungen. Die USA können heute sämtliche Dollar-Transaktionen weltweit überwachen. Das heißt aber auch, dass sie bei Sanktionen gegen bestimmte Länder wie Iran oder Russland kontrollieren können, ob und wer dagegen verstößt. Denn alle bedeutenden Geschäfte weltweit werden auf Dollarbasis abgewickelt. Und jetzt gehen die US-Behörden hin und bestrafen die Banken, über die solche Geschäfte mit sanktionierten Ländern wie Iran liefen, mit dem Argument, sie hätten gegen US-Gesetze verstoßen. Sie drohen ihnen, die Lizenz für den amerikanischen Markt zu entziehen. Und da knicken alle ein. Französische, deutsche und Schweizer Banken zahlen in den USA jetzt Milliardenbußen. Das ist äußerst wirkungsvoll.

Können die sanktionierten Länder nicht auf andere Währungen oder Banken ausweichen?
Jäger: Nur ganz begrenzt. Der US-Dollar ist die einzige Weltreservewährung. Drei Viertel des Handels zwischen Russland und China werden auf Dollarbasis abgewickelt. Es gibt kein russisches oder chinesisches Pendant zu Visa oder Mastercard. Russland will zwar seit Langem so etwas aufbauen, aber das internationale Vertrauen, das der US-Dollar besitzt, kann man nicht ersetzen.

Was ist eigentlich das politische Ziel der Sanktionen gegen Russland?
Jäger: Das ist eine sehr gute Frage. Welchen Zweck die Sanktionen verfolgen, ist selbst den Beteiligten nicht klar. Jedenfalls sagen sie es nicht konkret. US-Präsident Barack Obama hat die Devise ausgegeben, Russland zu "isolieren". Die Bundesregierung verlautbart, es gehe darum, dass Russland "den ernsthaften Dialog aufnimmt". Das sind schon ganz unterschiedliche Vorstellungen. Man könnte sich allerdings verschiedene Zwecke denken: Dass man den Osten der Ukraine stabilisiert. Würden dann die Sanktionen aufgehoben werden? Oder ist die Rückgabe der Krim der Zweck? Oder ist es der Zweck, dass sich Russland in gewisse westliche Regelwerke fügt? Alles das ist nicht klar formuliert, und vielleicht kann man es jetzt auch nicht klar formulieren.

Sanktionen ohne klares Ziel? Wie soll die Öffentlichkeit das verstehen?
Jäger: Das kann schwierig sein. Wenn jemand nachfragt. Solange keiner fragt, stört das ja keinen. Wir erleben ja im Moment nicht nur in diesem Konflikt eine ganz erstaunlich einseitige politische Kommunikation. Wo Politik über Nacht vom Kopf auf die Füße und wieder von den Füßen auf den Kopf gestellt wird, und niemand nachfragt. Was ist der politische Zweck im Nordirak? Da gibt es die Formulierung, die IS-Terroristen zu "stoppen". Was heißt das? Im Kampf töten? Oder zurückdrängen? Wohin denn? Sie gefangen nehmen? In welchen Gefängnissen? Auf Guantanamo? Und wenn das möglicherweise deutsche Staatsbürger sind? Alles völlig unklar. Die Diskussion in den Krisen läuft auf der Ebene der Mittel, und der Zweck wird nicht genau genannt.

Was auch klug sein kann ...
Jäger: Ja, denn wenn man Ziele nennt, macht man sich auch kontrollierbar. Ohne Ziele kann man nicht daran gemessen werden ...

Und die Öffentlichkeit nimmt das so hin ...
Jäger: Das ist die Entwicklung der vergangenen Jahre, nicht nur in Deutschland. Die regierungsseitige Kommunikation schlägt in einer Weise auf die öffentliche Meinung durch, dass viele Menschen nicht dazu kommen, Fragen zu stellen, und wenn, sich mit den Antworten zufrieden geben, die sie bekommen. In Deutschland hat das mit der großen Koalition noch einmal eine ganz andere Dimension, weil es nicht einmal mehr dissidente Ansichten dazu gibt.

Eine gefährliche Entwicklung?
Jäger: Jedenfalls eine, die Ruhe nur vortäuscht. Denn ausgesetzt wird der Prozess, sich politische Legitimität zu verschaffen. Beispiel Afghanistan: Deutschland war da lange militärisch engagiert, obwohl drei Viertel der Bevölkerung den Einsatz ablehnten. Das war aber offenbar nicht so wichtig, weil nicht wahlentscheidend. Diese fehlende Legitimität rächt sich aber, wenn es darum geht, eine aktivere Außenpolitik umzusetzen oder die Rolle Deutschlands im Bündnis zu stärken.

Zur Person

Thomas Jäger, 1960 in Hanau geboren, begann seine Karriere an der Universität Marburg. Seit 1999 ist er Inhaber des Lehrstuhls für internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Er ist Mitglied der nordrhein-westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste sowie Herausgeber der Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik. Seine Forschungsschwerpunkte: Internationale Politik, transatlantische Beziehungen und die US-Außenpolitik.

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