Prozess gegen Reker-Attentäter Der Tag vor dem Koma

DÜSSELDORF · Fünf Dutzend Medienvertreter sind eine ganze Menge für den dritten Verhandlungstag in einem Strafprozess, in dem der Sachverhalt geklärt scheint und der Angeklagte bereits gestanden hat. Das Interesse hat seinen Grund: Erstmals kommt es an diesem Freitag vor dem Oberlandesgericht zum Wiedersehen zwischen Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker und jenem Mann, der sie laut Anklageschrift am 17. Oktober 2015 fast umgebracht hätte.

 Vor ihrer Vernehmung als Zeugin tritt Henriette Reker im Gerichtsgebäude vor die Medien.

Vor ihrer Vernehmung als Zeugin tritt Henriette Reker im Gerichtsgebäude vor die Medien.

Foto: dpa

Es wird ein Zusammentreffen ohne Emotionen. Eine Stunde lang lässt sich Reker von der Vorsitzenden Richterin des sechsten Strafsenats Barbara Havliza befragen, antwortet ruhig und aufgeräumt. Regungslos und aufmerksam folgt ihrer Zeugenaussage der 44-jährige Frank S.. Eine Woche zuvor hat er gestanden, der damaligen Kandidatin am letzten Tag des Kölner OB-Wahlkampfs ein Jagdmesser in den Hals gestoßen zu haben. Die Bundesanwaltschaft wirft Frank S. versuchten Mord vor, womit ihm eine lebenslange Haftstrafe droht.

Die Verteidiger zweifeln den Mordvorwurf an, weil ihr Mandant das Messer nach dem Stich weggeworfen habe. Als Motiv hatte der arbeitslose Maler bei einer Vernehmung ideologische Gründe genannt. Bis zur Jahrtausendwende hatte er im Bonner Umland Kontakte in die rechtsextreme Szene unterhalten. Auf seine Brust ließ er sich den Schriftzug „Berserker Bonn“, einer Hooligangruppe, tätowieren. Mit dem Angriff gegen Reker habe er ein Zeichen gegen die Flüchtlingspolitik setzen wollen, erklärte er der Polizei. Und zuletzt ließ er sein weltanschauliches Mitteilungsbedürfnis gar so weit schweifen, dass selbst seine Strafverteidiger nervös auf ihren Stühlen herumrutschten.

Scheinbar bewegungslos sitzt nun das Opfer der Messerattacke auf dem Zeugenstuhl und empfängt die detaillierten Nachfragen der Richterin. Nüchtern, fast im Plauderton, erzählt Reker, wie sie an jenem Samstag im Oktober gemütlich gefrühstückt habe und dann gegen viertel vor neun zum letzten Wahlkampftag abgeholt worden sei. Kaum habe sie mit dem Verteilen von Rosen begonnen, da sei es auch schon passiert: „Dann kam Herr S. auf mich zu und fragte mich sehr freundlich und zugewandt, ob er eine Rose bekommen könne“, erzählt sie. Was dann geschah, ist bekannt: Der Täter zückte ein großes Jagdmesser und stieß es der Politikerin zehn Zentimeter tief in den Hals. Dabei wurde ihre Luftröhre durchtrennt und ein Brustwirbel gespalten.

„Ich habe gemerkt, ich blute aus Mund und Nase“, schildert Reker dem Senat ihre Wahrnehmung. Zur Rettung in der lebensbedrohlichen Situation wurde der 59-Jährigen womöglich eine Sanitätsausbildung aus frühen Berufsjahren: Zusammengesunken habe sie sich in eine stabile Seitenlage gebracht und die Wunde am Hals selbst mit einem Finger kompressiert, um die Blutung zu stillen. Bis zur Operation im Krankenhaus und dem daraufhin eingeleiteten künstlichen Koma sei sie bei Bewusstsein gewesen, sagt Reker. Dort hätten die Ärzte „mit den Augen gerollt“, als sie ihnen von der Trage aus mitteilte, sie wolle am nächsten Tag wählen gehen und zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels nach Frankfurt fahren. Und doch hatte auch sie offenbar eine Ahnung vom Ernst der Lage: „Meine erste Idee war: Jetzt ist dir die Kehle durchgeschnitten worden. Meine größte Sorge war, dass ich gelähmt sein könnte“. Noch während der Notversorgung auf der Straße seien ihr merkwürdige Gedanken gekommen: „Mit dem Rollstuhl kommst du nicht durch die Badezimmertür“.

Dass sie „riesiges Glück gehabt“ habe und während ihres Komas von den Kölnern zum Stadtoberhaupt gewählt worden war, erfuhr Reker dann erst einige Tage später. Die Wahl aufgrund der Ereignisse nicht anzunehmen, habe sie zu keinem Zeitpunkt in Erwägung gezogen, sagt sie. Auf die Frage der Richterin nach Spätfolgen nennt Reker Schluckbeschwerden und Alpträume von Hinrichtungsszenen, die sie zuweilen plagten. Misstrauischer gegenüber Menschen sei sie durch die Gewalttat aber nicht geworden.

Nur ein einziges Mal wird die Politikerin unsicher: am Ende der Vernehmung, als Verteidiger Christof Miseré vom eigenen Fragerecht keinen Gebrauch macht. Stattdessen, sagt er an Reker gewandt, würde sein Mandant gern „einige entschuldigende Worte“ an sie richten. Zum ersten Mal an diesem Tag gerät die Oberbürgermeisterin ins Stocken, nur der letzte Satz ist zu verstehen: Es sei dafür „noch nicht die richtige Situation“. Der Prozess wird am 13. Mai mit weiteren Zeugenaussagen fortgesetzt.

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