SPD-Kanzlerkandidat Der Selbstvermarkter

Berlin · Martin Schulz hat als EU-Parlamentspräsident Diplomatie und Machtpolitik gelernt. Gelegentlich geht es ihm aber sehr um sich selbst.

Die Reise nach Athen im Frühjahr 2012 ist typisch für ihn gewesen, Martin Schulz sieht sie noch heute als seine wichtigste politische Exkursion: Die Euroschuldenkrise strebt gerade auf ihren Höhepunkt zu, Zentralbankchef Mario Draghi hat noch nicht zugesagt, „was immer nötig ist“ zur Rettung der Einheitswährung zu unternehmen, während in Griechenland die Lage immer ernster wird, wirtschaftlich wie sozial. Vor allem jedoch hat sich noch kein EU-Politiker in der griechischen Hauptstadt blicken lassen, nur die verhasste Troika von Finanzexperten setzt eine ultraharte Kürzungspolitik durch, für die es als Gegenleistung Hilfskredite gibt.

Schulz, der an diesem 18. Mai 2012 gerade einmal vier Monate als Präsident des Europaparlaments amtiert, sieht seine Chance und sagt im Parlament am Syntagma-Platz: „Ich bin heute nach Athen gekommen, weil ich das Gefühl habe, dass wir in Europa zuletzt zu viel über Griechenland gesprochen haben und zu wenig mit den Griechen.“ Und er macht Politik in diesem, seinem Augenblick, als er den Hellenen, unabgesprochen, verspricht: „Die EU will Griechenland in der Eurozone halten.“

Das ist mittlerweile lange her und sagt doch einiges aus über den Mann, der vom alkoholkranken Buchhändler erst zum Bürgermeister seiner Heimatstadt Würselen bei Aachen und dann zum wohl bekanntesten deutschen Europapolitiker geworden ist. Nun soll er SPD-Kanzlerkandidat werden.

Schulz hat ein begnadetes Talent dafür, sich ihm bietende Lücken zu erkennen und hineinzuspringen: Er war der erste EU-Vertreter, der das soziale Elend der Griechen vor Ort ansprach, und zugleich der erste Deutsche, der sich vor Ort gegen die Nazi-Karikaturen über Angela Merkel oder Wolfgang Schäuble verwahrte. „Er sieht die Leerstellen und weiß sie zu füllen“, sagt einer aus seinem Umfeld – nun soll er das große Loch füllen, das der Abgang von Sigmar Gabriel in der deutschen Sozialdemokratie hinterlässt.

Die Athener Rede war der Auftakt für eine lange Reihe von Auftritten, die ihn und das Europaparlament bekannter und wichtiger gemacht haben. Vor allem ihn, lästern Abgeordnete anderer Parteien gern. Das ficht Schulz und seine Leute nicht an: „Das Eine ist ohne das Andere doch gar nicht zu haben – wie soll das Parlament stark sein, wenn sein Präsident nicht in Erscheinung tritt?“

Um Selbstvermarktung, die Schulz wie nur wenige andere beherrscht, geht es auch im heraufziehenden Bundestagswahlkampf. „Martin Schulz ist ein Kampfschwein“, meint der FDP-Mann Alexander Graf Lambsdorff, der einer seiner Stellvertreter in Brüssel und Straßburg war, „er hat fünf Jahre das Europaparlament nach vorne gekämpft, nun wird er versuchen, die SPD nach vorne zu kämpfen.“ Er ist in Umfragen deutlich beliebter als Gabriel. Ob der Rheinländer jedoch als der „Neuanfang“ wahrgenommen werden wird, als den ihn der Jetzt-doch-nicht-Kanzlerkandidat nun anpreist, ist bei einem inzwischen auch schon 61-Jährigen keine ausgemachte Sache. In der deutschen Innenpolitik mit all ihren Befindlichkeiten und Fallstricken war er, von seiner Rolle im SPD-Führungszirkel einmal abgesehen, noch nie wirklich aktiv – sein größtes Plus und Minus zugleich.

Auf dem internationalen Parkett dagegen fühlt er sich, wie es von einem möglichen Kanzler verlangt würde, zu Hause. In den fünf Jahren an der Spitze der EU-Institution, in denen er sich „Mr. President“ rufen lassen durfte, hat Schulz ausgiebig Europa und die Welt bereist. Er war in Tunesien, als sich gerade herausstellte, dass dieses kleine nordafrikanische Land als einziges demokratisch gestärkt aus dem Arabischen Frühling hervorgehen würde, er stand nach dem misslungenen Staatsstreich in der Türkei als erster EU-Vertreter vor den Trümmern des Parlaments in Ankara – ihm gelang der Balanceakt, der Staatsspitze rund um Präsident Recep Tayyip Erdogan Mitgefühl zu demonstrieren, ohne dessen überharte Reaktion auf den Putschversuch kritiklos zu den Akten zu legen.

Das wird weithin respektiert, wie Aussagen aus den vergangenen Tagen zeigen, als alle noch mit Schulz als nächstem Außenminister rechneten. „Schulz ist für die wichtigsten internationalen Gesprächspartner kein unbekannter Akteur“, sagt beispielsweise das außenpolitische CDU-Urgestein Elmar Brok.

Im Wahlkampf wird Schulz neben einem klaren inhaltlichen Programm auch Glück brauchen, um die SPD wieder in prozentuale Regionen zu führen, in denen sich überhaupt von einem ernsthaften Kanzlerkandidaten sprechen lässt. Dafür hat er immer einen Happy Hippo dabei, ein kleines Plastik-Nilpferd, das vor mehr als 20 Jahren aus einem Schoko-Überraschungs-Ei seiner Tochter kam und dem Papa geschenkt wurde.

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