Haibatullah Achundsada im Porträt Der Schulmeister der Taliban

Kabul · Der führende Ideologe der Islamisten, Haibatullah Achundsada, wird neuer Chef. Der fundamentalistische Gelehrte ist der spirituelle Vater vieler junger Talibankommandeure und Mullahs.

 Haibatullah Achundsada.

Haibatullah Achundsada.

Foto: AFP

Der offizielle Titel des neuen Talibanchefs Haibatullah Achundsada lautet wie bei seinem Vorgänger „Amir ur Muminin“ – der Führer der Gläubigen. Doch der 56-jährige islamische Geistliche, der bislang als stellvertretender Talibanchef im Schatten des von den USA bei einem Drohnenangriff getöteten Achtar Mansur stand, ist vor allem der spirituelle Vater der jungen Milizengarde.

Während Haibatullah in der zweiten Hälfte der 90er Jahre als Militärrichter der Taliban drakonische Strafen verhängte, studierten in seinem islamischen Seminar im südafghanischen Kandahar bis 2001 die Kinder und Enkel der Führer seiner Bewegung, der Nachwuchs der in Afghanistan untergeschlüpften arabischen Al-Kaida-Größen und die hellsten Köpfe am Hindukusch, die von den Mullahs in Afghanistan gefunden werden konnten. Nach der Vertreibung aus Kabul und Kandahar wurde die Kaderschmiede im pakistanischen Grenzort Chaman neu aus der Taufe gehoben.

Gemeinsam mit dem pakistanische Parlamentarier Fazl ur Rehman, dem Chef der fundamentalistischen Partei Jamiat Ulema-e-Islam, entschied Haibatullah während der folgenden Jahre, welche Absolventen in den „Heiligen Krieg“ am Hindukusch zogen und wer für ideologische Arbeit der Talibanmilizen Verwendung fand.

Die Ernennung des ideologischen Schulmeisters der Taliban zu ihrem Chef ist eine kleine Sensation, weil Haibatullah zum Stamm der Nursai gehört. Die Taliban werden von paschtunischen Ghilsai dominiert. Andererseits erscheint seine Kür nahezu als Selbstläufer, weil Haibatullah der spirituelle Vater vieler junger Talibankommandeure und der gleichaltrigen Mullahs der Bewegung ist.

Der fundamentalistische Gelehrte soll nun in Zeiten den Kurs vorgeben, in denen die Taliban sich vor der ideologischen Konkurrenz durch den Islamischen Staat fürchten müssen. Außerdem trug Haibatullah seit der Vertreibung der Talibanmilizen aus Kabul im Jahr 2001 die Verantwortung für ein Projekt, gegen das westliche Nationen trotz des Einsatzes von Milliarden von Hilfsgeldern nicht konkurrieren konnten.

Haibatullah schickt seit Jahren von ihm in der islamischen Gesetzgebung der Scharia ausgebildete Krieger in Kampf-Einheiten ins Feld. Sie kümmern sich oft mehr schlecht als recht um die Beachtung des Verhaltenskodex der Taliban. Aber dank Haibatullahs Richtern stehen heute viele Afghanen lieber bei den Scharia-Gerichten der Milizen Schlange als sich an die Justiz des afghanischen Staats zu wenden. Zwar verhängen die Scharia-Richter drakonische Strafen wie die Amputation von Gliedmaßen bei Diebstahl oder Steinigung bei Ehebruch. Zugleich sind sie aber entscheidungsfreudig und entscheiden auch komplizierte zivile Streitereien wie Landfragen schnell. Außerdem sorgen die Milizen dafür, dass Entscheidungen umgesetzt werden. Staatliche Richter gelten dagegen als korrupt, Urteile lassen lange auf sich warten, häufig hapert es bei der Durchsetzung.

Zuerst muss Haibatullah freilich die tiefen Risse seiner Truppe kitten. Sein Vorgänger Mansur hatte den Tod von Talibangründer Mullah Omar zwei Jahre lang verheimlicht und dann die Führung handstreichartig an sich gerissen. Diesmal kürte die Führung Mullah Jakub, den ältesten Sohn von Mullah Omar, und Siradschuddin Hakkani aus dem Osten Afghanistans zu seinen Stellvertretern. Der Proporz soll die Taliban innerlich festigen. Experimente wie die explosive Frage von Verhandlungen wird Haibatullah vorerst scheuen.

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