Kalten Progression Der Ruf nach dem Abbau wird wieder laut

BERLIN · Carsten Linnemann, der Vorsitzende der Mittelstandsvereinigung der CDU, hat einen sehr guten Zeitpunkt für seinen Vorstoß gewählt. Er hat erneut dafür plädiert, noch in dieser Legislaturperiode Maßnahmen gegen die kalte Progression zu ergreifen.

In der nachrichtenarmen Sommerzeit klingt dieser Ruf gewaltiger als vor dem Hintergrundrauschen des üblichen Berliner Politbetriebs. Und die Debatte dürfte länger anhalten.

Zumal sie ohnehin als folgenloser Zwischenruf gedacht war. Linnemann unterfüttert seine Forderung mit der Ankündigung, einen entsprechenden Antrag mit Unterstützung etlicher Regionalverbände auf dem CDU-Bundesparteitag zur Abstimmung zu bringen.

Die Partei kann dem Thema also nicht mehr ausweichen. Auffallend ist dabei, dass die CDA der Linnemann-Forderung schnell beigetreten ist. Deren Chef Karl-Josef Laumann will ebenfalls "noch in dieser Wahlperiode" die kalte Progression bekämpfen - also den Effekt, dass Arbeitnehmer von Lohnerhöhungen de facto nichts haben, weil dadurch die durchschnittliche Steuerbelastung steigt.

Diese seltene Einigkeit der beiden Unionslager bringt die Parteichefin und Kanzlerin Angela Merkel in eine heikle Lage. Trotz weiter sehr stabiler Konjunktur und deshalb sprudelnder Steuereinnahmen hat Bundesfinanzminister und Parteifreund Wolfgang Schäuble in seiner mittelfristigen Finanzplanung kein Basteln an den Tarifen vorgesehen, erst recht keine automatische Anpassung des Tarifverlaufs an die Entwicklung der Inflation, wie es sich Linnemann vorstellt.

Schäuble kämpft nämlich an zwei Fronten: Er muss die Schuldenbremse einhalten und gleichzeitig Milliarden für Bildung und Infrastruktur locker machen. Da ist erst einmal kein Platz für weitere Wünsche. Die Regierungschefin hatte in ihrer Sommerpressekonferenz deshalb auch eindeutig klar gemacht, dass sie derzeit keine Spielräume erkennen kann.

Ist Linnemanns Vorstoß also eine politische Totgeburt? Nicht unbedingt. Die Hoffnung der CDU-Steuerreformer heißt - Sigmar Gabriel. Der SPD-Vorsitzende hatte schon vor einigen Monaten darüber philosophiert, dass der Abbau der kalten Progression eigentlich auch ohne Belastungen an anderer Stelle machbar sein müsste.

Nun, so rechnet man im Lager um Mittelstandsmann Linnemann, passte der Schritt doch bestens in die von Gabriel selbst verkündete neue SPD-Strategie, die Sozialdemokraten breiter aufzustellen und wirtschaftsfreundlicher zu präsentieren.

Aber auch Gabriels Spielräume sind begrenzt. Das machte am Freitag Gabriels Stellvertreter Ralf Stegner im Gespräch mit unserer Zeitung deutlich. "Ohne einen Ausgleich in Form einer seriösen Gegenfinanzierung geht es nicht", sagte er. Wenn sowohl der CDU-Wirtschaftsrat als auch der Arbeitnehmerflügel der Union nun für einen Abbau der kalten Progression einträten, "dann müssen sie zuerst die eigene Parteiführung überzeugen, dafür auch Wege aufzuzeigen."

Was sich der stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende, der im Parteivorstand die Koordination der Parteilinken übernimmt, dabei vorstellt, sagt er auch klar: "Die Union hatte es in den Koalitionsverhandlungen abgelehnt, höchste Einkommen stärker zu besteuern. Ohne eine stärkere Belastung der Spitzeneinkommen als Gegenfinanzierung geht es nicht."

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