Steuern Der Rechnungshof kritisiert fehlende Mehrwertsteuer-Reform

BERLIN · Es ist eine Auseinandersetzung, die beinahe so alt ist wie das Gesetz über die reduzierte Mehrwertsteuer selbst: Vor gut 45 Jahren, im Jahr 1968, verabschiedete die damals große Koalition aus Union und SPD das entsprechende Gesetz.

Der ursprüngliche Sinn des Vorhabens, nämlich zur Steuervereinfachung beizutragen, wurde durch immer neue Ausnahmeregelungen ausgehebelt. Der Präsident des Bundesrechnungshofes, Dieter Engels, nennt das Mehrwertsteuer-System nun "zunehmend unübersichtlicher und widersprüchlicher". Er vermisst jegliche Bemühungen des Gesetzgebers für eine umfassende Reform.

Die massiven Klagen des Bundesrechnungshofes sind nicht neu. Schon vor drei Jahren hatte die in Bonn ansässige Behörde in einem Prüfbericht darauf verwiesen, dass von dem ursprünglichen Gedanken nicht viel übrig geblieben sei: nämlich aus sozialpolitischen Gründen bestimmte Güter des täglichen Bedarfs billiger zu machen.

Die Beispiele der steuerlichen Ungleichbehandlung mit lächerlichen Zügen sind bekannt: So werden beispielsweise Kunstgegenstände mit sieben Prozent besteuert, Babynahrung dagegen mit 19 Prozent. Kauft man sich frische Trüffel, sind sieben Prozent fällig; sind sie in Essig eingelegt, sind es 19 Prozent.

Süßigkeiten unterliegen der verminderten steuerlichen Belastung; für einen Kasten Mineralwasser gilt der volle Satz. Auch wenn die Weihnachtszeit vorbei ist: Bei Adventskränzen gilt nur dann der reduzierte Satz, wenn das "frische Material charakterbestimmend ist". Wird der Kranz aus Trockenpflanzen hergestellt, schlägt der Staat erbarmungslos zu: 19 Prozent.

Die spektakulärste Ausnahmeregelung: die Milliarden-Entlastung für Hotel- und Gaststättenbetreiber. Sie hatte wegen der einseitigen Privilegierung für erheblichen innenpolitischen Wirbel gesorgt. Der Bundesrechnungshof-Bericht kritisiert, dass die Kommission zur Reform der Mehrwertsteuer seit drei Jahren nicht ein einziges Mal getagt habe. "Kein einziges Reformvorhaben wurde entscheidend vorangebracht", kritisierte Engels die Haltung der Bundesregierung. Die hat eingeräumt, dass vor dem Wahltermin im September dieses Jahres mit einem politischen Vorstoß nicht mehr zu rechnen sei.

Diese Untätigkeit koste den Staat Milliarden, schreibt der Amtschef in einem Bericht für den Haushalts-Ausschuss des Bundestages, der gestern bekannt wurde. Zwei Punkte kämen erschwerend hinzu. Die Europäische Union habe schon mehr als einmal die steuerlichen Absonderlichkeiten in der Bundesrepublik kritisiert. Es drohen hohe Geld-Bußen. Die Bundesregierung beschäftigt ein Beamtenheer, um diesen Klagen zeitaufwendig zu begegnen.

Noch gravierender, so der oberste Rechnungsprüfer, seien die Einnahmeverluste. Die Mehrwertsteuer bringe dem Staat 140 Milliarden pro Jahr. Durch die unübersichtliche Lage bei dem Begünstigungsverfahren entgehen Bund, Ländern und Gemeinden einstellige Milliardenbeträge, hat Engels' Behörde ausgerechnet. Sie müssen kreditfinanziert werden. Höchste Zeit, dass die "willkürliche Zuteilung" ein Ende haben müsse.

Dazu müsse der Ausnahme-Katalog "gründlich ausgemistet" werden, verlangen nun die Rechnungsprüfer. Es müsse zudem ein EU-einheitliches Prüfverfahren entworfen werden, das die grenzüberschreitenden Mehrwertsteuer-Betrügereien beende.

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