Interview Wolfgang Bosbach Der Bundestagsabgeordnete über Krebs, Koalition und Krisen

BENSBERG · Er empfängt seine Gäste im Hotel Malerwinkel in Bensberg. Dort, wo er zu Hause ist. Wolfgang Bosbach (61) ist ein kooperativer Politiker, einer, der immer ansprechbar ist. Im Interview spricht der Bundestagsabgeordnete über die Koalition, Krisen und seinen Krebs-Erkrankung.

 Familienmensch: Wolfgang Bosbach mit (von links) seinen Töchtern Viktoria und Caroline und seiner Ehefrau Sabine bei der Premiere des Kinofilms "Inside Wikileaks" am 21. Oktober in Berlin.

Familienmensch: Wolfgang Bosbach mit (von links) seinen Töchtern Viktoria und Caroline und seiner Ehefrau Sabine bei der Premiere des Kinofilms "Inside Wikileaks" am 21. Oktober in Berlin.

Foto: dpa

Welche Frage ist Ihnen in einem Interview noch nie gestellt worden?
Bosbach: Diese.

Welche Frage können Sie nicht mehr hören?
Bosbach: Wie geht es Ihnen?

Wie geht es Ihnen?
Bosbach: So la la. Zwar sind die erhofften Wirkungen der neuen Therapie eingetreten, leider aber auch die Nebenwirkungen. Das eine gibt es wohl nicht ohne das andere. Solange ich den ganzen Tag beansprucht bin, merke ich sie kaum. Aber wenn ich abends zur Ruhe komme, bin ich schlagartig hundemüde, richtig fertig.

Der Abgeordnete Bosbach hat angekündigt, kürzer treten zu wollen. Ein Paradox.
Bosbach: Ja und nein. Zwar ist das Arbeitspensum das Gleiche wie zuvor, aber die bundesweite Reisetätigkeit habe ich schon deutlich reduziert. Zehn oder zwölf Stunden für eine Veranstaltung unterwegs zu sein, kostet sehr viel Zeit und Kraft. Das tue ich mir nicht mehr permanent an.

Sie wären gern Bundesinnenminister geworden. Sind Sie im Nachhinein froh, dass daraus nichts geworden ist?
Bosbach: 2005 hatte ich tatsächlich die Hoffnung, dieses Amt übernehmen zu können, und ich hätte es wirklich gerne übernommen. Aber es hat nicht sollen sein. Als sich diese Hoffnung nicht erfüllte, meinte meine Mutter nur: "Junge, wer weiß, wofür es gut ist?" Heute weiß ich, dass Mama recht hatte. Heute ginge es nicht mehr, weil ich mir die notwendigen Auszeiten nicht nehmen könnte.

"Hätten Weichen in Energiepolitik anders stellen müssen"

Was stört Sie an der Politik momentan am meisten?
Bosbach: Ich habe die große Sorge, dass wir in Deutschland den unauflösbaren Zusammenhang zwischen Wirtschaftskraft und sozialer Leistungsfähigkeit aus den Augen verlieren. Das zeigt leider auch der Koalitionsvertrag. Nur wenn wir in einer globalisierten Welt auch weiterhin wirtschaftlich stark sind, können wir den Sozialstaat festigen oder sogar noch weiter ausbauen.

Der Koalitionsvertrag steht also finanziell auf dünnem Eis?
Bosbach: Wenn wir alle neuen Leistungsversprechen einhalten wollen, müssen wir den Wirtschaftsstandort Deutschland weiter stärken. Dafür hätten wir aber die Weichen in der Energiepolitik anders stellen müssen, plus mehr Investitionen in Bildung, Forschung und Infrastruktur.

Es gibt zum Beispiel aber das Kooperationsverbot bei der Bildung, der Bund darf gar nicht...
Bosbach: Obwohl ich damals an der Föderalismusreform I selbst beteiligt war, sage ich heute: Das Kooperationsverbot war
ein Fehler. Die große Koalition könnte ihn korrigieren, will sie aber nicht.

Wenn es in der Union einen Mitgliederentscheid gäbe, hätte der Koalitionsvertrag die Basis passiert?
Bosbach: Eindeutig ja! Jedem, der mit Nein gestimmt hätte, wäre ja gleichzeitig bewusst gewesen, dass dies auch eine Art Misstrauensvotum gegenüber der Kanzlerin und der Parteiführung gewesen wäre.

Vier Jahre Koalition? "Da bin ich nicht so sicher"

Hält die Koalition vier Jahre?
Bosbach: Puh, wenn ich das wüsste. Da bin ich mir nicht sicher. Unter Berücksichtigung der Stimmen für FDP und AfD gab es bei der Bundestagswahl zwar eine rechnerische Mitte-rechts-Mehrheit, aber es gibt eine linke Mehrheit im Parlament. Wohl auch deshalb hat die SPD, noch während die Koalitionsverhandlungen liefen, aktiv eine Öffnung zur Linkspartei betrieben. Wenn aber die Braut auf dem Weg zum Altar schon mit anderen flirtet, sollte der Ehemann gewarnt sein.

Sie sprechen von vier Jahren, es hat allein vier Monate gedauert, bis die Regierung stand...
Bosbach: Das ist leider richtig. Noch problematischer aber war, dass so lange die eigentliche parlamentarische Arbeit faktisch ruhte. Wenn der 17. Deutsche Bundestag Mitte Januar 2014 seine Arbeit endlich aufnimmt, sind seit der Wahl knapp vier Monate vergangen. Da wir aber knapp drei Monate vor der nächsten Wahl die letzte reguläre Sitzungswoche haben werden, schrumpft die Wahlperiode de facto auf gut drei Jahre. Das ist zu kurz.

Machen Sie sich Sorgen über den Zustand der CDU nach Merkel?
Bosbach: Noch vor einem Jahr hätte uns niemand 42 Prozent bei der Bundestagswahl zugetraut. Das stimmt mich optimistisch, auch für die Zeit nach Angela Merkel.

Aber...
Bosbach: Aber die Union hat in den letzten Jahren bundesweit an politischer Kraft eingebüßt. Das gilt in vielen Ländern, aber auch auf kommunaler Ebene. Es gibt nur noch ganz wenige Großstädte, in denen die CDU die stärkste politische Kraft ist und den Oberbürgermeister stellt. Das macht mir Sorgen.

Liegt das möglicherweise an abrupten, vorher nicht besprochenen Kurskorrekturen?
Bosbach: Jein. Richtig ist, dass sich immer mehr Mitglieder der CDU fragen, wofür die Union steht und worin wir uns noch von der politischen Konkurrenz unterscheiden. Für jede Kurskorrektur, beispielsweise bei der Wehrpflicht, gab es gute Gründe. Aber in der Regel wurden diese Entscheidungen "oben" getroffen und erst danach gegenüber der Basis erläutert. Besser wären breitere Debatten mit unseren Mitgliedern, bevor diese Kurskorrekturen erfolgen.

"Wir neigen zu Übertreibungen"

Wie sehr hat Ihre unheilbare Krebserkrankung die Sicht auf die Politik verändert? Sind Sie radikaler geworden oder geduldiger?
Bosbach: Ich und radikal? Ich bin durch und durch friedlich und fröhlich. Neuerdings auch geduldiger und gelassener. Ich rege mich längst nicht mehr so sehr und so schnell auf wie früher. Wenn man mit wirklich existenziellen Fragen und Problemen konfrontiert wird, relativiert sich viel im Leben. Aus einem angeblichen Riesenproblem wird dann rasch ein Problemchen.

Peer Steinbrück hat in diesem Jahr viel geklagt über den Umgang auch der Medien mit Politikern. Sie auch?
Bosbach: Nicht nur über den Umgang mit uns Politikern. Da muss man vieles aushalten. Da bekommt man mit der Zeit ein dickes Fell. Aber es sollte niemals so dick werden, dass man auch ohne Rückgrat stehen kann. Wir neigen inzwischen ganz generell zu Übertreibungen. In Deutschland werden keine Fehler mehr gemacht, es läuft nix mehr schief, alles wird sofort zum Skandal erklärt. Bei Problemen sprechen wir gerne von Katastrophen und übersehen dabei, was echte Katstrophen sind. Der Bürgerkrieg in Syrien oder die Folgen des Taifuns Haiyan auf den Philippinen - das sind echte Katastrophen.

Noch ein ganz anderes Thema: Hören die USA Ende 2014 in Deutschland noch ab?
Bosbach: Die USA werden wohl in Zukunft nicht mehr die Kanzlerin oder andere Mitglieder der Bundesregierung abhören, aber in ihren Ausspäh-Aktivitäten nicht nachlassen, solange Europa keinen spürbaren Druck ausübt. Das angestrebte No-Spy-Abkommen macht nur dann Sinn, wenn es auch verbindliche Regelungen gibt, mit denen man überprüfen kann, dass nicht weiter die Verbündeten ausgespäht werden. Wir sollten auch Verträge wie SWIFT infrage stellen, damit die USA wissen, wir meinen es ernst. Wichtig ist eine einheitliche europäische Haltung, sonst werden sich die USA nur minimal bewegen. Wenn überhaupt.

Letzte Frage: Was würden Sie am liebsten Ende kommenden Jahres sagen können?
Bosbach: Deutschland ist wieder einmal Fußballweltmeister geworden. Wir haben lange keinen großen Titel gewonnen, jetzt sind wir mal wieder dran. Und wenn das im Lande des Rekordweltmeisters klappt, ist die Freude doppelt groß.

Zur Person

Wolfgang Bosbach, 1952 in Bergisch-Gladbach geboren, lernte Einzelhandelskaufmann und war Leiter eines Supermarktes. Nach Abitur und Jura-Studium ließ er sich als Rechtsanwalt nieder. Seit 1994 sitzt er für die CDU im Bundestag, zuletzt mit 58,5 Prozent der Erststimmen wiedergewählt. Bosbach leidet unheilbar an Krebs.

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