Kommentar zum Abschied von Gauck Dem Land gutgetan

Meinung | Berlin · Vom höchsten Staatsmann zum Privatmann. Joachim Gauck verabschiedete sich aus seiner märchenhaften Amtszeit. Dem "Demokratielehrer" hat Deutschland viel zu verdanken.

Der Abgang: selbstbestimmt, altersbedingt. Ab Montag ist Joachim Gauck wieder Privatmann, soweit dies als Bundespräsident außer Diensten möglich ist. Wer war er jetzt? Liberaler Konservativer oder aufgeklärter Patriot? Beide Attribute hat Gauck schon für sich in Anspruch genommen. Am Freitag verabschiedete er sich bei einem Großen Zapfenstreich aus dem höchsten Staatsamt, für das er im Frühjahr 2012 unverhofft gerufen worden war. Damals nicht zur Begeisterung von CDU-Chefin Angela Merkel, aber der damalige FDP-Vorsitzende Philipp Rösler hatte mit seinem Vorstoß für den rot-grünen Favoriten Gauck die Kanzlerin schlicht überrumpelt.

Gauck ist jetzt 77 Jahre alt, und er machte bei der Ankündigung seines Rückzuges keinen Hehl daraus, dass ihn vor allem sein Alter dazu bewogen hatte, keine zweite Amtszeit als Bundespräsident zu wagen. Der frühere Pastor aus dem Osten mit einer Nähe zur Bürgerrechtsbewegung hat dem Land als Bundespräsident gutgetan. Der Bürgerbewegte war dabei auch ein Bürgerpräsident, jemand, der eine Nähe zu den Menschen nicht spielen musste. Freiheit von der Unfreiheit, um die die Bürgerrechtsbewegten der untergegangenen DDR immer gekämpft hatten, war und blieb sein Thema auch im höchsten Staatsamt. Inzwischen muss auch Gauck feststellen, dass sich eine zunehmende Zahl von Menschen in Deutschland von genau dieser Freiheit bedroht fühlt, wie er es zuletzt noch formulierte. Eine Anspielung auf den wachsenden Zuspruch für Rechtspopulisten.

Gauck war im Ton stets pastoral-milde, was ihn weich erscheinen ließ, aber er nahm gerade im Ausland kein Blatt vor den Mund, wenn er wie in der Türkei Bürger- und Freiheitsrechte durch den Staat beschnitten sah. Russland unter Präsident Wladimir Putin mied er konsequent und boykottierte gewissermaßen auch die Winterspiele in Sotschi.

Gaucks Weg ins höchste Staatsamt eines vereinten Deutschlands war eine märchenhafte Wendung in seinem Leben. 2010 bei der Bundespräsidentenwahl als Kandidat von Rot-Grün gegen Christian Wulff unterlegen, hatte er mit der aktiven Politik abgeschlossen. Eigentlich. Doch Gauck ist zugleich das beste Beispiel dafür, dass politische Karrieren nicht planbar sind. Erst Wulffs Affäre, die später für diesen mit einem Freispruch vor Gericht vom Vorwurf der Vorteilsannahme endete, brachte Gauck erneut ins Spiel. Aufgewachsen in der Unfreiheit der autoritären DDR, verstand er sich nach dem Fall der Mauer auch als „Demokratielehrer“. Er wusste: Demokratie ist kein Selbstläufer, sie ist nicht einfach nur da wie die Gezeiten. Sie bedeutet Verantwortung des Einzelnen – auch für das Gemeinwesen. Gauck war als Bundespräsident ein Gewinn für dieses Land, weil er besser als andere wusste, dass es nach wie vor zwei unterschiedliche Kulturen in Deutschland gibt, die zur Vollendung der inneren Einheit zusammengeführt werden müssen. Er hat seinen Teil dazu beigetragen.

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