18. UN-Klimakonferenz in Katar "Das wäre ein ganz anderer Planet"

Katar · Die politischen Chancen, die globale Erderwärmung zu bremsen, stehen trotz beschleunigten Klimawandels schlecht. So wenig "Kyoto" für die Rettung des Erdklimas taugte, so unrealistisch erscheint es, dass die Industriestaaten 2050 plötzlich 80 Prozent weniger Treibhausgase ausstoßen, wenn das große Ziel, die Zwei-Grad-Grenze, nicht langfristig angesteuert wird. Durch rechtsverbindlich

Ein Wirbelsturm müsse einmal eine amerikanische Stadt treffen, die vorher noch nie von einem Hurrikan getroffen worden sei. Das wäre dann zwar immer noch "kein Beweis" für den Treibhauseffekt, aber die US-Medien würden das so werten und das Thema dann endlich angemessen angehen, glaubte Ende der 80er Jahre Professor Hartmut Graßl, der 1991 Präsident der Welt-Meteorologie-Organisation wurde.

Doch zuvor hatte er den Vorsitz im Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung übernommen, den ein gewisser Franz Josef Strauß angeregt hatte. Der CSU-Politiker betrachtete damals die Bedrohung des Klimas durch das Kohlendioxid (CO2) keineswegs als Hirngespinst.

25 Jahre später fristet die menschengemachte Erwärmung in den US-Medien immer noch ein Mauerblümchen-Dasein. Trotz "Katrina" und der vielen anderen atmosphärischen Bestien, die meist den Süden der USA ins Chaos stürzen. 2011 hatte "Irene" das nördlichere New York besucht, dann kürzlich nochmal die stärkere "Sandy".

Der Hurrikan schlug eine Schneise der Verwüstung. 42 Milliarden Dollar Sachschaden. Irgendwie hat Graßl das damals richtig eingeschätzt. Zumindest hat New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg - als Republikaner - eine Kehrtwende gemacht: "Zwei Wirbelstürme in 14 Monaten mit Evakuierungsmaßnahmen, die wir in dieser Stadt noch nie hatten", sagte Bloomberg der "Business Week" - als wäre damit alles gesagt. Aber ein wissenschaftlicher Beweis, dass der Klimawandel die zuletzt häufigen Hurrikan-Besuche New Yorks verursachte, ist das immer noch nicht.

Die neue Erfahrung ließ Republikaner Bloomberg kurz vor der US-Präsidentenwahl öffentlich für den Demokraten Barack Obama werben - und für "Sofortmaßnahmen" gegen den Klimawandel. Dazu wäre die seit Montag in Katar begonnene 18. UN-Klimakonferenz der richtige Ort. Doch auf Obamas Agenda ist Bloombergs brennendes Problem hinter Jobs und Wachstum gerückt. Nicht nur in den USA. Auch in europäischen Ländern sind die Budgets für den Klimaschutz zusammengestrichen und die potenziellen zur Euro-Rettung aufgestockt worden.

Die Rauchzeichen aus Katar spiegeln verfestigte Fronten, während die Medien das diplomatische Großereignis zur Rettung der Welt in Fußnoten abhandeln. Chinesen und Inder zeigen weiter auf die CO2-Sünder der Vergangenheit, vor allem auf die USA, während die Amerikaner am liebsten wegschauen. Einige Länder wollen einfach nur weiter Öl verkaufen, während andere auf das große Geld hoffen, wenn sie ihre Regenwälder nicht zum Acker für Biosprit oder Viehfutter machen.

Dazwischen die "Allianz kleiner Inselstaaten". Deren Länder sind nicht mehr als Sandhaufen, die maximal zwei Meter aus dem - steigenden - Ozean lugen. Sie heißen Tuvalu, Malediven, Seychellen, Samoa oder Kiribati. Ihre Botschaft ist schwer zu widerlegen: "Wir gehen unter, und ihr seid schuld." Der Malediven-Archipel setzt kaum CO2 frei, aber wem schreibt man die Unmengen CO2 auf den Deckel, die jährlich rund 600 000 Tauchtouristen aus Europa in der Lufthülle hinterlassen, wenn sie hier im Flieger landen?

Der Tanz um das politischste Molekül (CO2) aller Zeiten dauert nun schon 17 Jahre, seit in Berlin die erste UN-Klimakonferenz stattfand. Damals wie heute: Tausende Regierungsvertreter jetten um die Welt und versuchen, mit unvereinbaren Standpunkten einen Minimalkonsens auszubrüten. Der hieß 1997 "Kyoto-Protokoll". Die Vereinbarung wurde als "politischer Meilenstein" gefeiert, in der Sache war sie unerheblich. Die Industrieländer verpflichteten sich darin, ihren CO2-Ausstoß bis 2012 um 5,2 Prozent gegenüber 1990 zu verringern. Mancher tat es, die meisten nicht. Kein Beinbruch. Hätten alle Staaten "Kyoto" eingehalten, so eine Hochrechnung von Forschern, wäre die Erderwärmung nur um 0,03 Grad Celsius gebremst worden.

So wenig "Kyoto" für die Rettung des Erdklimas taugte, so unrealistisch erscheint es, dass die Industriestaaten 2050 plötzlich 80 Prozent weniger Treibhausgase ausstoßen, wenn das große Ziel, die Zwei-Grad-Grenze, nicht langfristig angesteuert wird. Durch rechtsverbindliche Abkommen und - bei deren Nicht-Erfüllung - Sanktionen.

Doch mit der Langfristigkeit hapert es. "Wir verkürzen zurzeit Politik auf Basta und Aussitzen", sagt Professor Klaus Töpfer. Der ehemalige Umweltminister und Ex-Chef des UN-Umweltprogramms kritisiert, "dass unsere Gesellschaft sich angewöhnt hat, sich dem Diktat der Kurzfristigkeit zu beugen". Das sei bei Fiskalfragen genauso wie beim Klimakomplex. Motto: Die Rechnung kommt so spät, dass man sich nicht fürchten muss.

Töpfer war am Donnerstagabend mit Wirtschafts-Professor Roger Guesnerie vom Collège de France, einst Sarkozy-Berater, Gast im Haus der Geschichte im Rahmen der vom Institut français Deutschland und der Bertelsmann Stiftung initiierten Dialogreihe "Wachstum und Wohlstand". Auch Guesnerie spricht von einem "nicht weit gesteckten Horizont der Politik". Mit "Business as usual" werde sich die Temperatur der Erde nicht um zwei oder drei Grad erhöhen, "sondern um fünf Grad. Seit der Mensch auf dem Planeten lebt, gab es das nicht. Nach der letzten Eiszeit lag die Temperatur nur um fünf Grad niedriger als heute, Frankreich und Deutschland waren vereist. Das war ein ganz anderer Planet."

Töpfer war Vorsitzender jener Ethik-Kommission, die den Atomausstieg Deutschlands für machbar hielt. Er sieht bisher "keine Energiewende, nur eine Stromerzeugungswende". Will sagen: Mit Klimaschutz hat das Ganze nichts zu tun, denn der von Atommeilern CO2-neutral produzierte Strom soll durch Wind, Sonne und Wasser ersetzt werden. Neue CO2-Schleudern, Braunkohlekraftwerke, gehen in ebenfalls ans Netz.

Zurück nach Katar: Physikalisch ist das Zwei-Grad-Ziel, trotz langem Nichtstun, immer noch erreichbar, nur eben politisch nicht. Und die Wirkungen für die Zukunft? Sicher ist nichts. Töpfer unterscheidet Unsicherheiten von Unwägbarkeiten. Der Klimawandel sei "sicher", aber wie er sich konkret gestalten werde, "unwägbar".

Die Politiker orientieren sich heute weitgehend am UN-Weltklimabericht 2007. Doch von den 1 500 Seiten erhalten sie nur das "Summary for Policymakers" - 25 bis 30 Seiten. Dort sind nur Risiken mit einer Wahrscheinichkeit von über 90 Prozent genannt. Weniger wahrscheinliche Konsequenzen des Klimawandels, aber dennoch mögliche und verheerende, fallen so unter den Tisch. Die Kritik an einer solch verkürzt dargestellten Gefährdungslage formuliert Professor Wolfgang Cramer in seinem Hintergrund-Buch "Der UN-Weltklimareport" in einer Frage: "Würden Sie in ein Flugzeug steigen, das mit weniger als 33-prozentiger Sicherheit , aber mit mehr als zehnprozentiger Wahrscheinlichkeit abstürzt?"

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