Interview mit Matthias Herdegen Das sagt der Herausforderer Merkels aus Bonn

Auf dem CDU-Parteitag im Dezember muss die Vorsitzende Angela Merkel mit Gegenwind rechnen. Der Bonner Staatsrechtler Matthias Herdegen, der gegen sie antreten will, fordert im GA-Interview eine umfassende Erneuerung.

Herr Prof. Herdegen, Sie wollen auf dem CDU-Parteitag gegen die seit 18 Jahren amtierende Vorsitzende, Bundeskanzlerin Angela Merkel antreten. Warum?

Matthias Herdegen: Wenn die CDU ihren Anspruch, Volkspartei zu bleiben, ernst nimmt, benötigt sie eine umfassende inhaltliche und programmatische Erneuerung. Die kann nur mit einem Wechsel an der Parteispitze gelingen. Das ist ein weit verbreitetes Gefühl in der Union, auch wenn es nur allmählich ausgesprochen wird. Im Inneren der Union herrscht Verunsicherung, Unzufriedenheit und Sehnsucht nach einem Aufbruch. Das gilt noch mehr für die gesamte Wählerschaft der Union, die sich von der Politikgestaltung weithin nicht mehr mitgenommen fühlt.

Was schwebt Ihnen an inhaltlicher Erneuerung für die Union vor?

Herdegen: Wir haben einen Riss in der Gesellschaft, der weite Teile der Gesellschaft in die Arme einer rechtspopulistischen, in Teilen sogar rechtsradikalen Partei treibt…

…der AfD…

Herdegen: Richtig. Wesentliche Ursachen liegen in einem situativen, von äußeren Ereignissen getriebenen Stil der Politik, die weniger vorausplant, sondern lediglich reagiert. Dies zeigt sich etwa bei dem Umgang von Regierung und Parteiführung mit der europäischen Schuldenkrise aber auch dem Schweigen auf die französischen Vorschläge zur Erneuerung der europäischen Union. Zu großen gesellschaftlichen Erschütterungen hat dieser Stil in der Asyl- und Flüchtlingspolitik geführt. Er hat die Autorität des Staates schon an den Grenzen preisgegeben. Dies setzt sich im Inneren fort. Wir müssen klären, wo wir in der Asylpolitik hinwollen, wie wir es mit der humanitären Aufnahme von Kriegsflüchtlingen halten. Aber am wichtigsten ist die Frage, wie wir Einwanderung nach Deutschland steuern wollen, welche Form von offener, pluraler, aber leistungsfähiger Gesellschaft wir anstreben. Ich würde da für eine sehr klare Position kämpfen.

Wie sollte denn eine deutsche Migrationspolitik aussehen?

Herdegen: Wir müssen aus den Ruinen des von uns selbst zerstörten Dublin-Systems wieder ein tragfähiges Haus zimmern. Wir müssen die Autorität des Staates bei der Sicherung der Grenzen zurückgewinnen. Entscheidend wird es auf eine Steuerung der Zuwanderung, etwa nach dem kanadischen Modell, bei der der Zusammenhalt der Gesellschaft nicht gefährdet, sondern bei aller Diversität gefestigt wird.

Ist die Migration die Mutter aller gegenwärtigen politischen Probleme, um Innenminister Seehofer zu zitieren?

Herdegen: Das erscheint mir zu schlicht. Es geht um den Willen und die Fähigkeit zur Integration und die Lenkung der Einwanderung nach demokratischen Regeln in Form eines Einwanderungsgesetzes. Wir müssen uns hier von den Erfahrungen mit gelungener und missratener Integration bei uns und anderswo leiten lassen.

Wo sehen Sie darüber hinaus Erneuerungsbedarf?

Herdegen: In der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Hier hat die Union das Feld einer sozialdemokratischen Agenda überlassen. Wir müssen viel mehr den Interessen der Mittelschicht Rechnung tragen. Die Belange von Mittelschicht und Mittelstand müssen wieder ernst genommen werden.

Halten Sie eine Zusammenarbeit der Union mit der AfD für möglich?

Herdegen: Es kann keine Zusammenarbeit mit einer Partei geben, die empörenden Positionen zur deutschen Vergangenheit Raum gibt und keine konstruktive Ansätze bietet.

Also keine irgendwie geartete Form der Kooperation?

Herdegen: Nein. Die Union muss ihre Hausaufgaben machen. Es muss uns aufschrecken, dass wir diese Partei zur größten Oppositionspartei in Deutschland haben werden lassen.

Wie kann die Union zur AfD abgewanderte Wähler zurückgewinnen?

Herdegen: Wir müssen ihnen in Worten und Taten signalisieren, dass wir ihre Sorgen um die Zusammensetzung der Gesellschaft ernstnehmen. Die sozialen Konflikte spielen sich in der unteren Mitte und im unteren Teil der Gesellschaft ab, und sie betreffen Millionen Menschen. Wenn die Union dieses Menschen nicht erreichen kann, wird sie der Aufgabe nicht gerecht, die AfD langfristig auszutrocknen.

Wird die Union sich nach rechts verschieben, wenn sie gewählt werden sollten?

Herdegen: Es geht nicht um rechts oder links. Es geht darum, dass in der Union wieder eine Grundhaltung erkennbar wird.

Die sie bei der Union unter Angela Merkels Vorsitz nicht erkennen?

Herdegen: Viele Mitglieder und Wähler der Union haben zurzeit den Eindruck, dass die Politik nicht interessiert, was hinter der übernächsten Kurve kommt. Unser Land braucht wieder Vertrauen in politische Gestaltungskraft.

Ist das ihr Hauptvorwurf an Merkel?

Herdegen: Ich schätze die Amtsinhaberin als analytisch kluge, besonnene Persönlichkeit mit überragender Lebensleistung. Aber ich glaube, dass sich der Politikstil des situativen Moderierens überlebt hat.

Rechnen Sie sich für ihre Kandidatur eigentlich eine realistische Chance aus. In der Partei sind sie bislang nicht in erster Reihe hervorgetreten.

Herdegen: Es ist eine unkonventionelle Kandidatur. Aber ich war immer sehr nah an der Politikgestaltung, habe viele Gesetzgebungsprozesse und verfassungsrechtliche Weichenstellungen begleitet. Weil ich bislang kein Wahlamt innehatte, bin ich auch nicht in irgendwelchen Loyalitätsnetzen eingebunden, kann mir also die Freiheit nehmen, unabhängig für meine Positionen zu werben.

Wie stehen Sie zum Regierungsbündnis mit der SPD?

Herdegen: Ich bin in der gegenwärtigen Situation Anhänger einer Minderheitsregierung. Das Parlament als Herz der Demokratie würde neues Leben gewinnen. Die Union hätte Gelegenheit, ihr Profil zu schärfen, sie müsste ihre Positionen benennen und hierfür um Mehrheiten werben. So müsste eine starke Volkspartei agieren.

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