EU-Beitrittsverhandlungen Dämpfer für die Türkei

Brüssel · Konservative im EU-Parlament wollen vor dem Hintergrund der fortgesetzten Menschenrechtsverstöße die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei stoppen.

 Skepsis im EU-Parlament: Viele Abgeordnete möchten einen Schlussstrich unter die Beitrittsverhandlungen setzen.

Skepsis im EU-Parlament: Viele Abgeordnete möchten einen Schlussstrich unter die Beitrittsverhandlungen setzen.

Foto: picture alliance / Patrick Seege

Die Hoffnungen der Türkei auf eine Vollmitgliedschaft in der EU haben einen empfindlichen Dämpfer erhalten. In einem Grundsatzpapier der christdemokratischen EVP-Mehrheitsfraktion im Europäischen Parlament erteilen die Abgeordneten allen Spekulation für einen Beitritt Ankaras zur Union eine Absage: „Nur Länder, die größtenteils zu Europa gehören, können die EU-Mitgliedschaft erhalten“, heißt es in dem Dokument, das unserem Brüsseler Büro vorliegt – eine Bemerkung, die darauf anspielt, das rund 60 Prozent des türkischen Staatsgebietes zum asiatischen Kontinent zählen.

Vor dem Hintergrund der fortgesetzten Menschenrechtsverstöße nach dem gescheiterten Militärputsch im Vorjahr heißt es weiter: „Die Türkei kann keine volle EU-Mitgliedschaft erhalten, weil das heikel sowohl für die Türkei als auch für die EU selbst wäre.“ Als Ausweg wird vorgeschlagen, Ankara zum „Teil eines Rings von Partnern um die EU herum zu machen“.

Wirklich überraschend kommt diese Absage nicht. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte schon vor dem Beginn der Beitrittsgespräche 2005 vorgeschlagen, eher eine „privilegierte Partnerschaft“ als eine Vollmitgliedschaft anzustreben. Doch im Zeichen der Flüchtlingskrise rückten auch die C-Parteien im Europäischen Parlament von ihrem Standpunkt ab, um das Abkommen zur Zusammenarbeit gegen illegale Migration nicht zu riskieren. Ankara hatte eine Neuaufnahme der Gespräche damals zur Bedingung für eine Kooperation mit den Europäern gemacht. Inzwischen hat ein breites Umdenken eingesetzt. „Die Türkei ist auf dem besten Weg in eine Autokratie“, kommentierte der CSU-Europa-Politiker Markus Ferber das Papier seiner Fraktion. „Mit einer Regierung, die mit Verhaftungswellen gegen das eigene Volk vorgeht und Menschenrechte mit Füßen tritt, darf die EU keine Gespräche über einen Beitritt führen. Wir müssen der Türkei die Rote Karte zeigen und einen klaren Schlussstrich unter die Beitrittsverhandlungen setzen.“ Auch Liberale, Grüne und vor allem Sozialdemokraten, die lange eine EU-Mitgliedschaft der Türkei befürwortet hatten, sind umgeschwenkt. Die türkische Regierung hat alle Sympathien verspielt.

Dabei ist der Beitrittsprozess ohnehin längst ins Stocken geraten und existiert nur noch auf dem Papier. Bisher konnte gerade mal eines der 35 Verhandlungskapitel abgeschlossen werden, weitere 14 sind eröffnet. Solange die Türkei das Zusatzprotokoll zum Abkommen von Ankara nicht umsetzt und das EU-Mitglied Zypern nicht anerkennt, bleiben acht Verhandlungskapitel geschlossen und die Beratungen über laufende Themen dürfen nicht beendet werden. Kurzum: Der Beitrittsprozess findet gar nicht mehr statt. Zwar bemüht sich Brüssel, über den Umweg der Zollunion weiterzukommen, um Staatschef Recep Tayyip Erdogan nicht vollends zu vergraulen und in die Arme Russlands oder Chinas zu treiben. Aber auch dabei müsste der Präsident Zugeständnisse in Sachen Zypern machen, was bisher scheiterte.

Die besondere Brisanz des christdemokratischen Papiers liegt darin, dass es als ein Beitrag im Vorfeld des 60. Jahrestages der Römischen Verträge entworfen wurde. Zusammen mit zwei weiteren Schriften liegt es den Parlamentariern in der kommenden Woche in Straßburg zur Abstimmung vor – und hat dort große Chancen, zur offiziellen Stellungnahme der Abgeordnetenkammer erhoben zu werden.

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