Kommentar zum Brexit Bye-bye, Great Britain

Berlin · An diesem Mittwoch passiert es: Großbritannien reicht bei der EU offiziell seine Scheidungspapiere ein. Damit beginnt die letzte Phase dessen, was die Mehrheit jener Referendumsteilnehmer im vorigen Juni selbst überraschte: London muss raus aus dem EU-Projekt.

Jüngst war viel von andauernder Partnerschaft, von bleibenden engen Verbindungen, von gemeinsamen Interessen und fortbestehenden Beziehungen die Rede. Aber machen wir uns nichts vor: Der „Puls Europas“, die Blutzufuhr für ein großes Projekt, von dem auf die Dauer jeder profitiert, er endet 2019 am Ärmelkanal. Nicht ausgeschlossen ist, dass sich ein Bypass bildet, wenn die schottischen EU-Fans das Vereinigte Königreich verlassen. Dann hätte Great Britain schon geografisch aufgehört, „great“ zu sein. Die prognostizierten Einbußen an Einkommen und Wirtschaftskraft werden dieses Gefühl verstärken.

Die legendäre Strategie der Eisernen Lady Margaret Thatcher („I want my money back“) muss nun die Strategie der EU für die Austrittsverhandlungen werden. Es geht um mehr als Rabatte für Wohlverhalten, es geht um Pensionszahlungen für britische EU-Beamte, um Projekte im britischen Interesse aus den EU-Kassen, um 50 und mehr Milliarden, die London Brüssel schuldet. Das alles muss ohne jede Sentimentalität geklärt werden. Auch im harten Streit. Und auch unter dem Gedanken der Vorbeugung gegen populistische Austrittsszenarien anderer Länder. Europa darf nicht zum jeweiligen nationalen Vorteil auf die Funktionen von Fußabtreter und Melkkuh reduziert werden. Es wird dabei viel Hauen und Stechen geben. Denn die Binnenmarktbeziehungen zwischen der EU und den Briten sind in vier Jahrzehnten zu allseitigem Nutzen so fest gewachsen, dass sie sich nicht schmerzlos kappen lassen. Zu erwarten ist, dass Heerscharen von Lobbyisten die Unterhändler heimsuchen, um für möglichst viele Branchen möglichst viele Vorteile herauszuholen und die logischen Folgen des Brexits zu mildern.

Natürlich werden dabei Fehler gemacht werden. So wie das gigantische Projekt der Wiedervereinigung Deutschlands an vielen Stellen suboptimal gesteuert und vollzogen wurde, weil die Erfahrungen fehlten, so ist auch die Abtrennung eines der wichtigsten europäischen Länder aus dem gemeinsamen Europa von einer Dimension, die vielen erst im Prozess klar werden wird. Deshalb gilt es, auch die Mechanismen im künftigen Europa verstärkt in den Blick zu nehmen. London bildete etwa eine sichere Bank gegen Bestrebungen zur Vergemeinschaftung von Schulden in der EU. Deutschland muss ein essenzielles Interesse an einem weiterhin funktionierenden Minderheitenschutz wirtschaftlicher Vernunft haben, wenn die Briten fehlen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort