Kommentar zum Einzelhandel in Bonn Bummel durch die Innenstadt

Meinung | Bonn · Nostalgie hilft dem Bonner Einzelhandel nicht. Die Innenstadt ist kein Freilichtmuseum, sondern braucht auch zahlende Kundschaft. Denn wer heute über die großen Ketten jammert, hat früher nicht bei Traditionsgeschäften gekauft, sagt unsere Autorin.

 Der Münsterplatz mit dem Beethovendenkmal ist umringt von Einkaufsstraßen.

Der Münsterplatz mit dem Beethovendenkmal ist umringt von Einkaufsstraßen.

Foto: Roland Kohls

Jetzt auch noch Sinn Leffers. Pleite! Und die anderen sind schon weg: Blömer, Boecker, Poerschke und wie sie alle hießen, die früheren Institutionen der Bonner Innenstadt. Jeder war einmal dort oder erinnert sich an die Einkaufstouren mit den Eltern. Man fuhr „in die Stadt“. Mit einer langen Liste, die in den jeweiligen Fachgeschäften abgehakt wurde. Alternativen: keine. Köln erschien endlos weit entfernt, und in den Dörfern rund um Bonn warteten bestenfalls Metzger und Bäcker. Internet-Shopping: Science Fiction.

Heute ist alles anders. Kein Wunder, dass Nostalgie aufkommt. „Die Stadt“ möge am liebsten so bleiben, wie sie immer war: Tauben auf dem Marktplatz, Fachhandel für Hüte und Zigarren, das alteingesessene Café. Dazu am besten Denkmalschutz für die Kneipe „Blow Up“. Bouvier statt Thalia und bloß keine weiteren Billigketten.

Das Problem ist nur: Von Nostalgie allein kann kein Einzelhändler überleben. Die Innenstadt ist kein Freilichtmuseum, sondern darauf angewiesen, dass die Mieter der Läden in den hübschen und teuren Bonner Gründerzeithäuschen auch genug Geld verdienen. Und das war bei vielen Geschäften, deren Verschwinden heute laut beklagt wird, nicht der Fall. Wer heute jammert, hat dort gestern nicht eingekauft.

Aber keine Sorge: Das ist weniger tragisch, als es sich anhört. Denn zum einen ist das inhabergeführte Fach-geschäft in Bonn alles andere als ausgestorben. Im Gegenteil: Es wagen sich sogar neue Einzelhändler mit ausgefallenen Sortimenten in die City.

Und was die viel gescholtenen Ketten betrifft: Ohne geht es nicht mehr. Auch wenn manche Innenstadt-Puristen von einem Bonn voller Öko-Läden, Manufakturen und über Generationen geführten Traditionsgeschäften träumen. Ohne die Ketten fehlt am Ende allen Händlern in der Innenstadt die Kundschaft.

Es zählt die Mischung aus kleinen und großen Läden, Ketten und inhabergeführten Häusern. Und die Mischung stimmt in Bonn. Auch ohne Bouvier, Blömer und Poerschke. Auch mit neuen Einkaufszentren wie dem auf dem Bahnhofsvorplatz geplanten Maximilian Center.

Denn auch das gehört zur wirtschaftlichen Realität: Selbst gute Läden werden irgendwann von besseren ersetzt. Gerade in der Bonner Innenstadt sind Ladenflächen knapp und teuer. Nichts steht lange leer. Wo Arbeitsplätze wegfallen, entstehen in der Regel neue.

Nostalgie ist das denkbar schlechteste Argument, um die Innenstädte zu retten. Werbeaktionen wie „Heimat shoppen“, mit der Händler sich gegen die Konkurrenz aus dem Internet stemmen wollen, sind gut gemeint. Ob sie jemanden vom Einkauf im Internet oder der Shopping-Tour nach Köln abhalten, bleibt allerdings zweifelhaft.

Wer Käufer in die Stadt locken will, muss ihnen mehr bieten als ein gutes Gewissen. Bonn braucht neue Läden, gute Gastronomie, ausreichend Parkfläche, mehr Service. Dann funktioniert „Heimat shoppen“ auch ohne mit dem Slogan bedruckte Tüten. Niemand ist heute mehr gezwungen, in die City zu fahren. Viele kaufen im Internet nicht, weil es billiger ist, sondern weil es bequemer ist.

Im Gegenteil, sie sind sogar bereit, mehr Geld für die Lieferung ins Haus auszugeben. Online-Riese Amazon nutzt das gerade mit seinen im Haushalt verteilten „Dash“-Bestellknöpfen, mit denen vom Klopapier bis zur Zahnpasta nachgeordert werden kann. Und zwar nicht gerade zum Schnäppchenpreis.

Die verwöhnten Internetkunden in die Läden zurückzulocken, ist die größte Herausforderung des Einzelhandels. Mit Konzepten von gestern ist ihr nicht zu begegnen. Sinn Leffers wird jetzt zeigen, ob es im Sanierungsverfahren so gute Ideen entwickelt, dass genug Kunden kommen. Falls nicht: Das hübsche Haus am Münsterplatz würde nicht lange leerstehen. Tradition hin oder her.

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