Rede zur Bonner Demokratie Appell für mehr Emanzipation der Kommunen und Länder

Bonn · Bei der Bonner Rede zur Demokratie forderten die Experten mehr Föderalismus und weniger Zentralstaatlichkeit.

 Über den Artikel 30 des Grundgesetzes diskutieren Ferdinand Kirchhof, Ashok Sridharan, Roland Sturm und Helge Matthiesen (v. l.).

Über den Artikel 30 des Grundgesetzes diskutieren Ferdinand Kirchhof, Ashok Sridharan, Roland Sturm und Helge Matthiesen (v. l.).

Foto: Benjamin Westhoff

Ferdinand Kirchhof, Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, entwirft folgendes Szenario: Die Stadt Bonn saniert eine ihrer Kreisstraßen. Auf dem Bauschild steht: „Finanzierung durch die Stadt Bonn mit Unterstützung des Landes NRW sowie freundlicher Beihilfe vom Bund.“ Kirchhof rollt mit den Augen. Wenn er so etwas sehe, ringe er jedes Mal nach Fassung: „Wieso muss eine Stadt erst beim Bundesland um Geld bitten, und das Land wiederum beim Bund? Das ist doch verrückt.“

Aufgaben der Länder

Artikel 30 des deutschen Grundgesetzes werde hier nur unzureichend umgesetzt. Darin heißt es: „Die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben ist Sache der Länder.“ Inwiefern dieses Prinzip derzeit Anwendung findet, darum ging es am Mittwochabend bei der Bonner Rede zur Demokratie.

Rund 600 Zuhörer waren in die Kunst- und Ausstellungshalle gekommen, um sich Kirchhofs Vortrag und die anschließende Diskussion anzuhören, zu der neben Kirchhof auch Roland Sturm, Professor am Institut für Politische Wissenschaft der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen-Nürnberg, sowie Ashok Sridharan, Oberbürgermeister der Stadt Bonn, geladen waren. Helge Matthiesen, Chefredakteur des General-Anzeigers, leitete durch den Abend.

Zu wenig Geld für die Kommunen

Wie ist es um den Föderalismus in Deutschland bestellt? Wo stößt er an seine Grenzen? Diese Fragen standen im Raum. Denn in einem Punkt waren sich die drei Experten einig: Ein Zentralstaat sei die schlechteste aller Lösungen.

Sridharan nannte in diesem Zusammenhang den Umgang mit der Flüchtlingsproblematik. Der Bund habe pro Flüchtling 10.000 Euro an die Kommunen überwiesen. Im Endeffekt lägen die Kosten pro Flüchtling aber bei rund 16.500 Euro. Das sei nur ein Beispiel. Aber es zeige deutlich: „Wir brauchen eine eigene finanzielle Ausstattung, um künftig einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen“, sagte Sridharan.

Bürger wollen mehr Vereinheitlichung

Dem Bund fehle ganz einfach die Übersicht über die tatsächlichen Anforderungen vor Ort. Das sah Sturm ganz ähnlich. Für ihn sei daher unbegreiflich, dass die Bundesländer ihr Recht auf Diversität und Selbstbestimmung nicht ausschöpften. Sobald ein Land die Studiengebühren abschaffe, zögen die anderen sofort nach. Das liege aber auch daran, dass die Bürger in der Regel nach einer Vereinheitlichung verlangten, auch wenn das nicht immer von Vorteil sei.

Um wirklich handlungsfähig zu sein, bräuchten die Länder einen verlässlichen Etat, findet Kirchhof. Eine Möglichkeit könnten eigene Steuerquellen sein, die den Ländern vom Bund zugewiesen werden. „So hätten sie eine zuverlässige Einnahmequelle und müssten nicht als Bittsteller zum Bund laufen, um eine Finanzierung zu erhalten“, erklärte Kirchhof.

Artikel 30 des Grundgesetzes ist alternativlos

Gerade im Bezug auf die Innere Sicherheit gebe es derzeit zwar immer wieder Tendenzen für eine zunehmende Zentralisierung. Doch nur eine Politik vor Ort könne die Probleme der Gegenwart lösen. Der Föderalismus und somit auch Artikel 30 des Grundgesetzes blieben alternativlos, so die einhellige Meinung der Experten.

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