Türkei und Europa Bonner Experten warnen vor Abbruch der Verhandlungen

Bonn · Kanzlerkandidat Martin Schulz hat sich im TV-Duell für einen Stopp der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ausgesprochen. Der Ex-Türkei-Korrespondent Baha Güngör und der Bonner Politologe Mahir Tokatli halten das für kontraproduktiv.

Mit einem Schmunzeln und Gelassenheit blickt Baha Güngör, gebürtiger Türke, ehemaliger GA-Redakteur und früherer Türkei-Korrespondent, auf das TV-Duell zwischen Angela Merkel und Martin Schulz zurück.

Darin hatte der SPD-Spitzenkandidat eindringlich dafür geworben, die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abzubrechen. „Das nehme ich ihm allerdings nicht ab“, sagt Güngör. „Schulz ist ja Rheinländer wie ich. Da ist man vielleicht ein bisschen flapsig und vorschnell.“ Nach der Wahl sehe er es vermutlich wieder anders.

Ganz spurlos geht das Thema jedoch nicht an Güngör vorbei. „Die EU darf die Verhandlungen mit der Türkei auf keinen Fall abbrechen“, mahnt der 67-Jährige. Dort lebten Menschen, die auf Europa hoffen: „Es steht ja nicht das ganze Land hinter dem Präsidenten.“ Auf einen Stopp der Verhandlungen habe Erdogan doch gewartet: „Dann kann er nämlich sagen: ,Seht ihr! Die Christen kümmern sich nur um sich selbst.' Das würde ihm nur weitere Menschen in die Arme treiben.“

Der langsame Heranführungsprozess der Türkei an Europa dürfe nicht unterbrochen werden. Zum Beitritt werde es aber vermutlich niemals kommen: „Das würden Länder wie Österreich verhindern.“ Bis dahin müsse es wie im Fußball laufen. „Die Türkei muss von der EU die gelbe Karte in Form von Wirtschaftssanktionen sehen. Weitere Fouls darf sie sich dann nicht mehr leisten“, erklärt Güngör. Das verstehe auch Erdogan.

Ein wenig anders sieht das Mahir Tokatli, Doktorand am Institut für Politische Wissenschaft an der Universität Bonn: „Auch wenn die Wirtschaft Erdogans Achillesferse zu sein scheint, ist der Einbruch der Wirtschaft nicht ausschließlich das Mittel, ihn zum Einlenken zu bringen.“ Vielmehr glaubt Tokatli, dass eine klare Rhetorik zum Erfolg führen könnte.

So oder so sei die Türkei so weit vom EU-Beitritt entfernt wie noch nie. In naher Zukunft werde sich daran vermutlich nichts ändern. „Ich würde es aber auch nicht schon vorher ausschließen, wie es Angela Merkel macht“, kritisiert er die Kanzlerin.

(buj)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort
Illusion
Kommentar zur Türkei und der EU Illusion