Afghanistan Blutbad in Kabul

Delhi · Mindestens 80 Menschen sterben bei einem Selbstmordangriff des sogenannten Islamischen Staates auf einen Protestmarsch von Schiiten. Das zeigt: Der IS fasst auch in Afghanistan Fuß.

 Männer schaufeln in Kabul Gräber für die Opfer des blutigen Anschlags.

Männer schaufeln in Kabul Gräber für die Opfer des blutigen Anschlags.

Foto: AFP

Afghanistans Regierung hatte sich aus Sorge vor dem Protestmarsch Tausender Hazara, einer gut organisierten und ausgebildeten schiitischen Minderheit, mit langen Reihen von leeren Containern verbarrikadiert. Doch kaum waren die Demonstranten, die eine Überlandstromleitung durch ihre Heimatprovinz Bamiyan verlangten, im Westen der Hauptstadt Kabul losmarschiert, als sie schon um ihr Leben rennen mussten. Mindestens ein Selbstmordattentäter der Terrorgruppe Islamischer Staat zündete eine Bombe. 80 Menschen wurden getötet, über 200 teilweise lebensgefährlich verletzt. „Ein IS-Kommandeur aus Nangahar hat das angeordnet“, verlautete aus afghanischen Sicherheitskreisen.

„Wir werden verfolgt“, klagte der 32-jährige Mukhtar Shah nach dem schlimmsten Blutbad in Kabul seit der Ankunft ausländischer Truppen am Hindukusch im Jahr 2001. Seit sie Ende 2014 abzogen, verschlimmert sich die Lage fast täglich, weil die radikalislamischen Talibanmilizen Afghanistans 350.000 Mann umfassende Sicherheitskräfte nahezu nach Belieben vor sich her hetzen. Afghanistan bleibt der Ort eines ewigen Blutbads.

Mit dem brutalen Anschlag auf die Demonstranten erinnerte Daesh, wie der Islamische Staat auf Arabisch genannt wird, die Regierung in Kabul daran, dass sie längst nicht mehr nur gegen die Talibanmilizen kämpfen. Der IS, dessen Kämpfer in Afghanistan vor allem aus den Reihen der alten „Islamischen Bewegung Usbekistan“ (IMU) stammen, hat sich überwiegend in Teilen der Provinz Nangahar zwischen der Hauptstadt Kabul und der Grenze zum benachbarten Pakistan festgesetzt.

Dabei versuchen nicht nur Afghanistan und die USA, die fanatischen Gotteskrieger auszulöschen. Selbst die Talibanmilizen formierten eine Spezialtruppe, um die Konkurrenzbewegung zu vernichten und beschuldigen Daesh, am Hindukusch einen Bürgerkrieg zu entfesseln.

Ehemalige IMU-Kämpfer bekannten sich in Afghanistan erstmals zum IS, nachdem sie gemeinsam mit Tausenden anderen Kämpfern während einer massiven Militäroperation Pakistans aus der dortigen Provinz Waziristan vertrieben wurden. „Sie führten viel Geld mit sich und verteilten es“, beschrieb ein asiatischer Geheimdienstler das Vorgehen, „sie forderten die Leute auf, vorläufig nicht aktiv zu werden und Befehle abzuwarten.“

US-Präsident Barack Obama hatte erst kürzlich verkünden lassen, Washington würde 8400 statt wie geplant 5000 Soldaten am Hindukusch lassen. Außerdem soll der Luftkrieg wieder verschärft werden. Kabuls Behörden planten schon vor dem Anschlag mit der US-Rückendeckung eine Operation namens Shafaq (Dämmerung) gegen den IS in Nangahar.

Zwei Jahre nach dem Nato-Abzug scheint es höchste Zeit, das Blatt in Afghanistan wieder zu wenden. Die grausame Attacke in Kabul zeigt, dass der sogenannte „Eiserne Ring“, wie eine Kette von Wachposten und Straßensperren genannt wird, so löchrig geworden ist, dass Daesh Sprengstoff aus der Provinz nach Kabul schaffen kann. Die Sicherheitskräfte verloren laut Militärkreisen im Jahr 2014 etwa 5000 Soldaten. Im vergangenen Jahr stieg die Verlustzahl auf 6000. Und 2016 fielen bereits 20 Prozent mehr Soldaten als im vergleichbaren Zeitraum des Vorjahres.

Präsident Ashraf Ghani, der angesichts der desolaten Sicherheitslage unter massivem Druck steht, verkündete: „Wir werden Rache nehmen.“ Die Vereinten Nationen sprachen nach dem Anschlag von einem Kriegsverbrechen. Für die schiitischen Hazara, die bereits seit zwei Jahren mit wachsender Panik die Aktivitäten des sunnitischen IS beobachten, sehen sich in ihrer Furcht bestätigt. Sie stellten bereits 2015 einen großen Teil der afghanischen Flüchtlinge in Europa – und werden nun wieder verstärkt nach Möglichkeiten suchen, ihre Heimat zu verlassen.

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