NPD-Verbotsverfahren Bloß keinen Provokateur in Staatsdiensten

BERLIN · Sie mussten mit, ob sie wollten oder nicht. Otto Schily war an jenem Spätnachmittag des 23. Januar 2002 an einer öffentlich bis dato nie gekannten Demonstration seiner ministeriellen Macht gelegen. Canossa lag an einem Tag wie diesem mitten in Berlin. Im Regierungsviertel.

 Anti-NPD-Protest im Frühjahr in Berlin: Das Plakat erinnert an das gescheiterte Verbotsverfahren vor neun Jahren.

Anti-NPD-Protest im Frühjahr in Berlin: Das Plakat erinnert an das gescheiterte Verbotsverfahren vor neun Jahren.

Foto: ap

Und Claus Henning Schapper, Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Klaus-Dieter Schnapauff, Leiter der Abteilung Verfassungsrecht, sowie Werner Müller, Leiter der Abteilung Innere Sicherheit, mussten mit Schily zum öffentlichen Bußgang. Bundesinnenminister Schily führte ohne jede Gnade jene drei Spitzenbeamten vor, die ihm im bevorstehenden NPD-Verbotsverfahren ein entscheidendes Detail vorenthalten hatte.

Mit dem einstigen NPD-Vize in Nordrhein-Westfalen, Wolfgang Frenz, hatte der Staat einen der Hauptzeugen aufgeboten, der auch V-Mann des Verfassungsschutzes war. Schily soll getobt haben. Im Falle eines neuen Anlaufs für ein NPD-Verbotsverfahren wollen die Antragsteller solche Fehler vermeiden.

Doch wer kann einen solchen Verbotsantrag stellen?

  • Im Falle des 2003 gescheiterten Verbotsverfahrens waren mit Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat gleich drei Verfassungsorgane Antragsteller. Nachdem mit Hessen und dem Saarland nun auch die beiden letzten Länder ihre Vorbehalte gegen ein neues Verbotsverfahren abgelegt haben, können die 16 Bundesländer in der Sache geschlossen auftreten. Heute treffen sich unter anderem dazu auch die Ministerpräsidenten. Werden sie sich einig, könnten die Länder über ihre Kammer, den Bundesrat, einen Antrag stellen, die Verfassungsfeindlichkeit der NPD gerichtlich feststellen und die Partei verbieten zu lassen. Bundesregierung und Bundestag könnten den Antrag der Länder unterstützen beziehungsweise sich dem Verbotsantrag anschließen oder jeweils eigene Anträge stellen. Interessant: Die rechtsextreme NPD selbst hat beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe einen Antrag in eigener Sache gestellt: Sie will sich höchstrichterlich attestieren lassen, dass ihre Haltung, ihr Handeln und ihre Politik gerade nicht gegen die Verfassung verstoßen.

Wie kann sich die NPD im Falle eines Verbots juristisch dagegen wehren?

  • Die Hürden für ein Parteiverbot sind hoch. Die NPD kann, sollte Karlsruhe einem neuen Antrag stattgeben, beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg Beschwerde einlegen. Die Straßburger Richter verlangen den Nachweis, "dass von einer Partei tatsächlich und aktuell eine Gefahr für die Demokratie ausgeht", wie Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck sagt.

Warum sind V-Leute als Zeugen, die auch Führungsfunktionen in der NPD inne haben, ein Problem für den Staat als Antragsteller eines Parteiverbotes?

  • Die Karlsruher Richter brauchen zum Verbot einer Partei Beweise, die, auch was ihre Beschaffung angeht, über jeden Zweifel erhaben sind. Beschäftigen beispielsweise Landesverfassungsschutzämter NPD-Funktionäre als V-Leute, so kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Sicherheitsbehörden über diese V-Leute in Diensten des Staates Willensbildung und Handeln einer Partei beeinflussen. Anders ausgedrückt: Das höchste deutsche Gericht kann in einem NPD-Verbotsverfahren niemanden als Zeugen zulassen, von dem es nicht ausschließen kann, dieser habe als "Agent Provocateur" zu rechtsradikalen Gewalttaten angestiftet, um ein Verbot zu begünstigen. In den jetzt vorliegenden Akten sollen 3 000 Belege die Verfassungsfeindlichkeit der NPD beweisen.

Nach welchen Kriterien kann Karlsruhe eine Partei verbieten?

  • Bislang hat das Bundesverfassungsgericht in der Geschichte der Bundesrepublik nur zwei Parteien verboten. 1952 die rechtsextreme Sozialistische Reichspartei, die als Sammelbecken für frühere NSDAP-Mitglieder gegründet worden war, und 1956 die Kommunistische Partei Deutschlands. Zentraler Punkt für ein Verbot ist Artikel 21 des Grundgesetzes. Dort heißt es in Absatz zwei: "Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger, darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig. Über die Frage der Verfassungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht."

Wer sind die starken Figuren in der rechtsextremen NPD?

  • Seit Ende 2011 führt Holger Apfel als Bundesvorsitzender die NPD. Apfel ist Vorsitzender der NPD-Fraktion im sächsischen Landtag. Vor einem Jahr war es ihm gemeinsam mit dem NPD-Fraktionschef im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, Udo Pastörs, gelungen, den Bundesvorsitzenden Udo Voigt von der Spitze zu putschen. Apfel setzt auf einen bürgerlichen Anstrich der NPD und will seine Partei mit der Idee einer "seriösen Radikalität" für eine größere Wählerschicht öffnen. Er hat unter anderem damit zu kämpfen, dass die NPD in der Neonazi-Szene kaum Autorität genießt. Dass sie sich gerne mit demokratischen Parteien auf Augenhöhe zeigt, bewies die NPD zuletzt, als sie bei der Wahl des Bundespräsidenten einen eigenen Kandidaten präsentierte.
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