Verkehrspläne der EU Autoindustrie sieht sich vor extremer Herausforderung

Die EU will den Kohlenstoffdioxid-Ausstoß bei Pkws um ein Drittel senken. Doch der Vorstoß stößt auf Kritik – bei der Autolobby ebenso wie bei Parteien und Umweltschützern.

Es ist die Zahl dieses Tages: minus 30 Prozent. Als der für Klimaschutz zuständige EU-Kommissar Miguel Arias Cañete am Mittwoch in Brüssel das lange erwartete Paket für umweltfreundliche Autos von morgen präsentierte, war die wichtigste Botschaft schon längst ausgeplaudert worden. Um rund ein Drittel muss der CO2-Auststoß von Pkws bis 2030 reduziert werden.

Doch der Kommissar hatte noch eine faustdicke Überraschung im Gepäck, die nicht nur die Lobbyisten der Autobauer schockierte. War es bisher üblich, dass die EU-Behörde den Herstellern konkrete Vorgaben für die Höchstmenge des Klimakillers vorschreibt, so wich die Kommission nun erstmals davon ab. Man werde künftig mit Reduktionszielen arbeiten anstatt mit Messwerten.

Und: Klimaschützer nutzen in der Regel das Jahr 1990 als Vergleichsjahr für ihre Zahlen. Brüssel dagegen rechnet nun anders: Die geplante Senkung bezieht sich auf jenen Wert (95 Gramm je gefahrenem Kilometer), der bis 2021 erreicht sein muss und der schon bei seiner Festlegung vor einigen Jahren als umstritten ambitioniert galt. So konnte sich Cañete denn auch hinstellen und zuerst einmal mit dem Gerücht aufräumen, er sei von der mächtigen Kfz-Industrie unter Druck gesetzt worden: „Wir haben unsere Arbeit frei erledigt“, sagte er. Es sei seine Pflicht, den Autobauern zuzuhören: „Ich folge nicht all ihren Vorschlägen. Aber manchmal haben sie bei einer Sache recht und ich kann ihre Bedenken nachvollziehen.“

Bonus für Elektromodelle

Das ist in diesem Paket nur an wenigen Stellen zu spüren. Zum Beispiel beim Verzicht auf eine Quote für Elektroautos. Die gibt es nicht. Und irgendwie dann doch: Denn Hersteller, die bis 2025 genau 15 Prozent ihrer Modelle (bis 2030: 30 Prozent) im Angebot haben, bekommen einen Bonus und dürfen bei anderen Modellen die Vorgaben deutlicher überschreiten. Ein Gegengeschäft, mit dem Brüssel auf den Einwand reagiert, dass der Markt für schwere SUV gerade boomt – trotz ihrer eigentlich viel zu hohen CO2-Emissionen.

Dabei setzt die Kommission nicht einmal auf bestimmte Technologien: Es gibt keine klare Aussage zum umstrittenen Dieselmotor oder eine Präferenz für Hybrid- sowie Elektroantriebe. Auch sollen die 800 Millionen Euro, mit denen die EU einen massiven Ausbau des Tankstellennetzes bis 2020 fördern will, in Ladestationen für alle möglichen Motorvarianten fließen. Dennoch macht Brüssel klar, dass man die Zukunft im E-Auto sieht – verursacht vor allem durch sinkende Preise ab 2020, wenn die Hersteller verstanden haben, wohin die Reise geht.

Tatsächlich kommen alternative Antriebe in Europa langsam in Fahrt. Passend zum Klimaschutzpaket der Kommission legte der europäische Branchenverband Acea gestern die jüngsten Zahlen über die Zulassung von Neufahrzeugen in der EU vor. Demnach stieg der Absatz von Autos mit Elektromotor oder anderem alternativen Antrieb im dritten Quartal EU-weit um 51,4 Prozent auf jetzt 211 600 Fahrzeuge an. Besonders deutlich war die Zunahme in Spanien, gefolgt von Deutschland.

Unterstützung für den Vorschlag der Kommission gab es nur wenig. „Der vorgelegte Entwurf stellt die Automobilindustrie vor extreme Herausforderungen. Ob diese vorgeschlagenen CO2-Zielwerte zu erreichen sind, ist aus heutiger Sicht mehr als fraglich“, kritisierte der Verband der Automobilindustrie VDA. Der ADAC sieht das ganz anders: „Die EU-Kommission bleibt mit ihrem Verordnungsvorschlag allerdings hinter unseren Erwartungen zurück. Die technischen Möglichkeiten, um unsere Fahrzeugflotten nachhaltig emissionsarm zu machen, sind schon heute vorhanden.“ Der Vorschlag der EU-Kommission sei „nicht geeignet, die klimaschädlichen Emissionen im Verkehr ausreichend zu reduzieren“, meint der Umweltverband BUND.

Streit scheint programmiert

Die Grünen-Europaabgeordnete Rebecca Harms schimpfte: „Der Vorschlag ist nicht nur schwach, sondern markiert einen Tiefpunkt in der Auseinandersetzung um eine europäische Klimaschutzpolitik.“ Die Vorsitzende der CSU-Europaparlamentarier, Angelika Niebler, erinnerte dagegen daran, dass den Autoherstellern gleich mehrere Auflagen gemacht würden, die sie nun verkraften müssten: Neben der 30-prozentigen Reduzierung von CO2 im Abgas sollen die Fahrzeuge sich künftig auch den neuen Testverfahren unter Alltagsbedingungen stellen, was zusätzliche Anstrengungen zur Abgasreinigung erfordert. Niebler: „Limits müssen machbar sein.“ Und der Chef der CDU-Abgeordneten im europäischen Parlament, Daniel Caspary, versprach einen „Reality-Check“ der Vorschläge. „Klimaschutz und Industriepolitik müssen in eine vernünftige Balance gebracht werden.“

Streit scheint also programmiert und ist im Grunde längst ausgebrochen. Dafür hat ausgerechnet der amtierende Bundesaußenminister Sigmar Gabriel gesorgt. Der warnte vor wenigen Tagen die EU-Kommission vor zu strengen Vorgaben. Das Schreiben brachte seine Parteikollegin, die amtierende Bundesumweltministerin Barbara Hendricks, auf die Palme. Sie verstehe nicht, in welcher Eigenschaft Gabriel solche Briefe schreibe, sagte sie. Als Außenminister könne dies ja wohl nicht seine Aufgabe sein. „Und auch nicht als SPD-Politiker, denn in der SPD haben wir uns klar zu einem beherzten Einstieg in die Elektromobilität samt E-Quote bekannt.“

Deutschland ringt als Standort großer Autohersteller noch um seinen Standpunkt, andere EU-Staaten dürften die Brüsseler Pläne dagegen eher begrüßen: Frankreich, Großbritannien, Schweden und weitere haben bereits Beschlüsse zum schrittweisen Abschied vom Verbrennungsmotor nach 2025 gefasst und werden in dem Paket der Kommission eher eine Unterstützung ihrer Vorhaben sehen. Doch zunächst müssen die Ausführungen von Klimaschutzkommissar Cañete die Beratungen im Europäischen Parlament überstehen. Und da wird es in den kommenden Wochen und Monaten bei diesem Thema zweifellos hoch hergehen.

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