Kommentar zur Bundespolitik nach der Hessen-Wahl Aufwachen!

Meinung | Berlin · Alarmstufe Rot bei den einstigen Volksparteien: Bei der Wahl in Hessen haben CDU und SPD mit Stimmverlusten zu kämpfen. Um das ganze schön zu reden ist es zu spät, findet unser Autor.

 Andrea Nahles, Fraktionsvorsitzende der SPD und SPD-Parteivorsitzende, gibt eine Erklärung zum Wahlergebnis der Landtagswahl in Hessen ab. Foto: dpa

Andrea Nahles, Fraktionsvorsitzende der SPD und SPD-Parteivorsitzende, gibt eine Erklärung zum Wahlergebnis der Landtagswahl in Hessen ab. Foto: dpa

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In der SPD-Zentrale: Alarmstufe Rot. Danach kann es nach diesem Wahlabend in Hessen keinen Zweifel mehr geben. Parteichefin Andrea Nahles wird handeln müssen, oder sie wird sehr bald selbst abgewickelt. Es gibt nach solchen Verlusten keinen Raum mehr für Schöndeuterei von Wahlergebnissen. Es kann nur harte Konsequenzen geben. Die Vorstellung, die SPD könnte sich in ihrem derzeitigen Zustand in der Regierung erneuern, war bislang jedenfalls aus dem Reich der Fantasie.

Auch in der CDU-Zentrale klingelt nach dieser Landtagswahl gleichfalls die Alarmglocke. Endlich alle aufwachen! Die Wählerinnen und Wähler wollen diese Art von Politikstil – maximaler Streit bei minimaler Lösung – nicht mehr. Der Ausgang der Wahlen in Bayern und Hessen mit derart hohen Stimmverlusten kommt einer gelb-roten Karte auch für die Unionsparteien gleich. Der politische Patient CDU muss zur Generaluntersuchung. Bei der CSU in München mögen sie sich vielleicht noch vorgaukeln, sie könnten – mit dem bequemen Koalitionspartner Freie Wähler an ihrer Seite – so weiter machen wie bisher. Nur wird diese Rechnung nicht aufgehen, dazu ist der Riss zwischen der Regierung und einem zunehmend größeren Teil der Bevölkerung zu tief.

Die Gewinner dieser insgesamt schwierigen Lage sind die Grünen. Zwei starke Ergebnisse machen sie noch lange nicht zur Volkspartei. Aber es ist erkennbar, dass die Ökopartei für viele SPD- und Unions-Wähler – wie auch für viele Nicht-Wähler – eine Hoffnung verkörpert, die sie den „Großen“ zumindest derzeit nicht mehr zutrauen. Ähnliches gilt, wenn auch mit anderer Motivation, für die rechte AfD, die reichlich bei bisherigen Nicht-Wählern sowie bei enttäuschten Wählern von SPD und Linken abgeräumt hat. Für die SPD ist ihr einziger Partner aus der Zeit von rot-grünen Projekten nun tatsächlich zu einem ernsthaften Konkurrenten gewachsen, der den Sozialdemokraten das Wasser abgräbt. Nahles hat die Grünen längst als Gegner ausgemacht.

Kein Zweifel: Diese Groko im Bund steht am Scheideweg. Ob sie bis 2021 durchhält, ist ungewisser denn je. Die SPD müsste bei aller staatspolitischen Verantwortung, wegen der sie sich im März auf eine Neuauflage des ungeliebten Regierungsbündnisses eingelassen hat, eigentlich die Reißleine ziehen. Für die Sozialdemokraten geht es um nichts weniger als um ihre Existenz als Volkspartei. Es kann gut sein, dass die SPD bei ihrer Klausur am kommenden Wochenende bereits Bedingungen für eine Fortsetzung der Groko formuliert – und damit den Ausstieg vorbereitet.

Die Unionsparteien müssen sich gleichfalls fragen, wie weit sie noch schrumpfen wollen, ehe echte Konsequenzen gezogen werden. Dass diese Bundesregierung mit dem ewigen Unruhestifter Horst Seehofer als Bundesinnenminister weiter macht, ist nicht vorstellbar. Der CSU-Sonderparteitag muss Seehofer den Rücktritt so nahe legen, dass er ihn auch antritt. Oder die Groko stolpert mit Garantieschein in ihren nächsten grundlegenden Zoff. Das war es dann: für Seehofer, womöglich aber auch gleich für Merkel und für Nahles.

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