Regierungspolitik in Nordrhein-Westfalen Auf der Suche nach dem verlorenen Plan

Düsseldorf · Das Land NRW trägt beim Wirtschaftswachstum bundesweit die rote Laterne. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft wehrt sich gegen den Vorwurf, die Landesregierung trage die Schuld daran.

Die Pressekonferenz mit Hannelore Kraft läuft schon 46 Minuten, als einer der Journalisten von der Ministerpräsidentin wissen will, ob es bis zur Landtagswahl in 13 Monaten noch wichtige Punkte zu bearbeiten gebe. „Wir haben noch einiges vom Koalitionsvertrag umzusetzen, vieles ist schon erledigt“, beginnt Kraft ihre Antwort. Außer dem Landesentwicklungsplan nennt sie aber keine konkreten Punkte. Als der Journalist dann wissen will, ob es noch große Themen gebe, die die Koalition angehen wolle, beginnt Kraft, in ihren Karteikarten zu suchen.

„Geben sie mir eine Minute“, sagt sie. Und stellt dann lakonisch fest: „Ich finde es nicht, tut mir leid, wir können ihnen gern nachliefern, was noch an großen Themen dabei ist.“ Ein Raunen geht durch die Runde im Pressezentrum des Landtags. Müsste die Regierungschefin nicht die wichtigsten Themen für das letzte Jahr vor der Wahl im Kopf haben?

Es ist die erste Fragerunde mit Kraft im Rahmen einer Landespressekonferenz seit Januar 2015. Dafür hätte sich die SPD-Politikerin sicher eine schönere Vorlage gewünscht als die in der vorigen Woche bekannt gewordene Nachricht, dass Nordrhein-Westfalen beim Wirtschaftswachstum bundesweit die rote Laterne trägt. Während die Wirtschaftsleistung und mithin die Arbeitsproduktivität in den 15 anderen Ländern im Schnitt um 1,7 Prozent stieg, stagnierte sie an Rhein, Ruhr und Weser. Das Verarbeitende Gewerbe büßte gegen den positiven Bundestrend sogar stark ein.

Kraft nannte das von den Statistikern bescheinigte Nullwachstum „unbefriedigend und nicht gut“. Die Zahl sei aber auch „ein Auftrag, genau zu analysieren und gegenzusteuern“. Dabei müsse man Regionen und Branchen differenziert betrachten. Südwestfalen und Ostwestfalen-Lippe entwickelten sich überdurchschnittlich gut. Dass sich das Ruhrgebiet überdurchschnittlich schlecht entwickelt, sagt Kraft lieber nicht.

Bei den Branchen hat sie einen Erklärungsansatz. Vier der fünf im Land schrumpfenden Bereiche gehörten zur Grundstoffindustrie. Sie nennt Stahl, Kokerei, Mineralöl, die Grundstoffchemie sowie Papier/Pappe. Die Grundstoffindustrie stagniere überall in Deutschland, ja in ganz Europa, doch weil in NRW der Anteil dieser Branchen an der Industriestruktur bei mehr als 30 Prozent liege, bundesweit aber nur bei 18,4 Prozent, sei das Land eben stärker betroffen, wenn es in diesen Bereichen Probleme gebe.

Die Schließung des Opelwerks in Bochum, die Energiewende mit den negativen Auswirkungen für die konventionellen Kraftwerke und die Exportprobleme des NRW-Maschinenbaus in Richtung Brasilien, Russland, Indien und China trügen ebenfalls zu der schlechten Bilanz bei. Doch hausgemachte Fehler – die sieht Kraft nicht als Ursache für die Probleme. Weder das Landeswassergesetz noch das Tariftreuegesetz, das Unternehmensstrafrecht oder gar das Naturschutzgesetz hätten einen negativen Einfluss.

Sie gibt aber auch zu, dass es im Land „zu wenig Forschung“ gäbe und „dass wir an der Schnittstelle zwischen Hochschule und Wirtschaft arbeiten müssen“ .

„Genau hinschauen und differenziert analysieren“ müsse man, sagt die Regierungschefin – und das nicht nur einmal. Die Ergebnisse dieser Analysen sollen in einem Landeswirtschaftsbericht – dem ersten seiner Art – zusammengefasst und im Sommer veröffentlicht werden. Und dann werde man gern auch die Opposition zu Gesprächen einladen.

CDU-Landeschef Armin Laschet hatte Kraft am Dienstag die Hilfe seiner Partei angeboten. Krafts Replik hört sich dann so an: „Ich freue mich darüber, dass auch die Opposition konstruktiv daran mitarbeiten möchte, die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes voranzubringen.“

Doch Kraft will nicht den Eindruck entstehen lassen, dass in Nordrhein-Westfalen alles schlecht sei. „Es ist ja nicht so, dass wir nichts getan hätten.“ Die Ausgaben für Wissenschaft und Forschung seien stark gestiegen. Beim Breitbandausbau komme das Land voran, und auch bei den Investitionen in die Infrastruktur.

Im Ruhrgebiet sei man wie 1962 wieder bei 2,3 Millionen Beschäftigten, nur in ganz anderen Branchen, die Gesundheitswirtschaft habe sich „extrem gut entwickelt“, der Strukturwandel sei „im Gange und in weiten Teilen erfolgreich“. Erst kürzlich sei NRW als Europas Zukunftsregion Nummer eins bewertet worden – all das Erfolge, mit denen Kraft sicher auch im nächsten Jahr im Wahlkampf Stimmen für ihre SPD einsammeln möchte.

Nach Ende der Pressekonferenz fällt Kraft dann doch noch die Karteikarte in die Hand, auf der sie sich die großen Themen für die Zeit bis zur Wahl am Muttertag 2017 notiert hatte. „Garzweiler Leitentscheidung, Stärkungspakt, Tariftreuegesetz“, ruft sie dem Journalisten noch zu, der danach gefragt hatte. Jene, die das hören, schauen sich etwas ungläubig an. Waren das nicht große Themen aus den vergangenen zwölf Monaten?

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