Kommentar zu Angela Merkel und den Flüchtlingen Auf Talfahrt

Meinung · Die Situation für Angela Merkel wird ungemütlicher. Aus der Union und aus der SPD kommen Ultimaten in der Flüchtlingsfrage

Es geht nicht mehr um demonstrative Gesten auf Parteitagen. Es geht auch nicht mehr um mehr oder weniger freundliche Basisbriefe an die Parteivorsitzende. Es geht darum, dass sich etwas ändert – und bisher ändert sich nichts. Im Gegenteil: Genau genommen verschärft sich die Lage beim Flüchtlingszustrom. Denn zu den Bürgerkriegsflüchtlingen aus Syrien gesellen sich immer mehr Menschen aus Ländern, die nicht vor Krieg und/oder Verfolgung fliehen, sondern die nach Deutschland kommen, um ihre wirtschaftliche Lage zu verbessern, manche – siehe Köln – durchaus mit kriminellen Methoden. Da geht es also nicht um das Asylgrundrecht, sondern um dessen Missbrauch.

Die Bundesregierung tut seit Monaten viel, um dieser Lage Herr zu werden. Aber alle Registrierungs- und Beschleunigungsbemühungen wirken bisher überwiegend national, und sie haben bisher nicht bewirkt, dass die Zahl der Flüchtlinge sinkt. Das heißt: Das Schicksal der Bundeskanzlerin liegt in den Händen der Flüchtlinge. Sie haben Merkel in der Hand.

Die Sprache der Kritiker – vor allem der parteiinternen – wird derweil immer kompromissloser. Gleich drei Ultimaten haben die Bundeskanzlerin zu Wochenbeginn erreicht, das schwächste stammt dabei auffälligerweise vom Koalitionspartner SPD. Er fordert bis zum Frühsommer eine deutliche Reduzierung der Flüchtlingszahlen. Julia Klöckner, die christdemokratische Wahlkämpferin aus Rheinland-Pfalz, will solange nicht warten, die CSU sowieso nicht. Klöckner fordert im ersten Quartal „eine merkliche Reduzierung“, die CSU will nur noch bis zu den Landtagswahlen im März stillhalten. Danach wird es richtig Zoff geben. Ultimaten an die eigene Regierungschefin – das ist eine Vorgehensweise, die sehr deutlich macht, wie groß die Angst in den Unionsreihen vor Macht- und Kontrollverlust mittlerweile ist und wie wenig Respekt man dort der einst Unumstrittenen noch entgegenbringt.

Man kennt solche „Vertrauenserklärungen“ aus dem Sport, aber der Satz bezogen auf die Bundeskanzlerin war bisher unvorstellbar: „Angela Merkel ist die Nummer eins, sie ist unsere Bundeskanzlerin, und es hat ja keiner einen Vorschlag, wer wirklich eine Alternative sein könnte.“ Sagt Frau Klöckner. Was im Umkehrschluss heißt: Merkel ist Kanzlerin auf Abruf; gäbe es eine Alternative, wäre die Lage noch ernster.

Die Kanzlerin ist nicht nur eine Gefangene der Flüchtlinge, sie ist auch eine Gefangene ihres Vertrauens in Europa. Doch die Erwartung, dass es eine europäische Lösung des Problems geben wird, ist unrealistisch. Bisherige Absprachen stehen nur auf dem Papier, und man geht nicht fehl in der Annahme, dass viele EU-Partner die in anderen Fragen so harte Kanzlerin ganz bewusst hängen lassen. „Du machst Europa kaputt“, hat Edmund Stoiber Merkel zugerufen. Oder umgekehrt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort