Kommentar zum Jahrestag des Minsker Friedensabkommens Auf Sparflamme

Meinung · Ein Abzug aus dem Donbass wäre eine innenpolitische Blamage für Wladimir Putin. Deshalb bleibt die Lage in der Ukraine verfahren.

 Eine Frau steht in Donezk in der Ukraine in den Trümmern ihres Hauses. Heute jährt sich ein Friedensabkommen, das die Lage hätte entschärfen sollte. Geändert hat sich nichts.

Eine Frau steht in Donezk in der Ukraine in den Trümmern ihres Hauses. Heute jährt sich ein Friedensabkommen, das die Lage hätte entschärfen sollte. Geändert hat sich nichts.

Foto: dpa

Die Verhandlungen in Minsk endeten erst im Morgengrauen. Heraus kam ein Friedensvertrag, den viele bis heute als Frühgeburt betrachten: Nicht nur weil die prorussischen Rebellen statt der vereinbarten Waffenruhe prompt einen Großangriff begannen, um die Ukrainer in der Stadt Debalzewo vollständig einzukesseln …

Der Friedensplan Minsk II, heute vor einem Jahr in der weißrussischen Hauptstadt unterzeichnet, ist nicht das einzige Abkommen, mit dem die Weltmächte wütende Kriegsparteien zur Einigung zwingen wollten. Man denke nur an Dayton 1995, als die Amerikaner die serbischen, bosnischen und kroatischen Staatschef wochenlang auf einem US-Militärstützpunkt interniert haben. Das Ergebnis ist umstritten, jedenfalls was Bosnien-Herzegowina angeht: Das Land gilt bis heute als gespalten, die Republika Srbska ignoriert praktisch, dass sie formal zu Bosnien-Herzegowina gehört.

Minsk II ist noch umstrittener. Ukrainer wie Rebellen sabotieren einen Großteil seiner Programmpunkte. Von einer wirtschaftlichen oder sozialen Wiedervereinigung sind beide Seiten weiter entfernter als vor einem Jahr. Das ukrainische Parlament schiebt die in Minsk fest geschriebene Verfassungsreform vor sich her, ebenso die Amnestie für die Rebellenkämpfer. Selbst der rege Gefangenenaustausch ist ins Stocken geraten, obwohl beiden Seiten noch Hunderte ihrer Widersacher festhalten.

Das Geballer an der Waffenstillstandslinie, dessen Akustik sich zwischenzeitlich auf einzelne Gewehrschüsse beschränkte, schwoll vor dem Geburtstag des Abkommens zum Granatwerferkonzert an. Ein Konflikt, eher auf Sparflamme als eingefroren.

Dabei beteuern die Deutschland, Frankreich und Russland, die Minsker Patenmächte, aber auch Ukrainer wie Separatisten, es gäbe keine Alternative zum Abkommen vom 12. Februar.

Letztere beiden heucheln auf jeden Fall: Die Führer der Rebellenrepubliken Dozenzk und Lugansk wollen keinesfalls die Kontrolle über die Grenze nach Russland an Kiew zurückgeben, wie es das Abkommen vorsieht. Sie befürchten, keineswegs zu Unrecht, die Ukrainer würden sie entmachten, entwaffnen und verhaften. Das einfache Volk aber glaubt weiter der russischen TV-Propaganda, die faschistoiden Ukrainer seien im Donbass weiter auf Genozid aus.

Das glaubt übrigens auch Russlands Öffentlichkeit, weshalb der wirkliche Abzug der russischen Militärs aus dem Donbass eine innenpolitische Blamage Wladimir Putins bedeutete. Und deshalb unmöglich ist. Umgekehrt herrscht in der Kiewer Elite Konsens, der Kreml benutze Minsk II als Vehikel, um eine Föderalisierung der Ukraine zu erzwingen, die alle sozialen Kosten für die Rebellengebiete auf die Schultern des ukrainischen Staates legt.

Es bleibt offen, wie viele Geburtstage das Minsker Abkommen noch feiern wird, bevor es realisiert sein wird. Oder beerdigt.

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