GA-Serie "Macht und Mehrheit" Auf Safari im digitalen Dschungel

Viele junge Menschen informieren sich ausschließlich im Internet über Politik. Bei dem großen Angebot ist es nicht immer leicht, den Überblick zu behalten. Eine Bonner Studentin hat sich dieser Aufgabe gestellt.

Die Uhr tickt. Es sind keine zwei Wochen mehr bis zur Bundestagswahl. Höchste Zeit, sich für einen Kandidaten oder eine Partei zu entscheiden. Für viele Bürger führt der Weg dabei übers Internet. Auch für Sally Tavenrath. Die junge Frau – vor etwa drei Jahren wegen ihres Psychologiestudiums nach Bonn gezogen – darf am 24. September zum ersten Mal über die Zusammensetzung des Bundestags mitentscheiden. Sie ist eine von 2,2 Millionen Erstwählern im Alter von 18 bis 21 Jahren.

Die 21-Jährige behauptet von sich, politisch interessiert zu sein. „Aber gerade vor Wahlen merke ich, dass ich über viele Themen trotzdem zu wenig weiß. Deshalb informiere ich mich auch jetzt wieder neu, obwohl im Frühjahr erst die Landtagswahl in NRW war“, erzählt sie und klappt ihren Laptop auf: „Dann mal los.“

Wie bei der großen Mehrheit ihrer Generation ist auch für Tavenrath das Internet Informationsquelle Nummer eins. Laut einer Studie der Universität Hohenheim erkundigen sich mehr als 80 Prozent der unter 40-jährigen Wähler hauptsächlich auf Webseiten, sozialen Medien und Blogs über politische Themen. „Ohne das Internet sind jüngere Zielgruppen nicht mehr oder kaum erreichbar“, sagt der Bonner Medienwissenschaftler Mario Anastasiadis. Gerade für den Dialog mit jungen Wählern sei es für die Parteien unverzichtbar.

Wahl-O-Mat als wichtige Entscheidungshilfe

Tavenrath sucht zuerst nach dem Wahl-O-Mat der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb). „Digitale Angebote, wie etwa der Wahl-O-Mat, können die politische Meinungsbildung unterstützen“, erklärt Anastasiadis. Sie helfen den Nutzern, indem sie Informationen und Parteiprogramme filtern und übersetzen.

Wer die 38 Thesen nach seiner eigenen Meinung beantwortet, bekommt einen Vorschlag ausgespuckt, welche Partei er wählen sollte. Die Studentin liest sich die Fragen durch. Der Mauszeiger wandert über die drei Antwortmöglichkeiten „stimme zu“, „stimme nicht zu“, „neutral“. Am Ende gibt es das Ergebnis. Tavenrath lacht. „Das ist so gar nicht mein Wahlverhalten“ – und ist damit nicht die Einzige, die sich über die Ergebnisse schon gewundert hat. „Häufig geht das Wissen der Teilnehmer über die Parteiprogramme nicht tief ins Detail. Daher kann es zu einer Übereinstimmung kommen, die so nicht erwartet worden ist“, sagt Marketingexpertin Iris Pöschl von der Uni Hohenheim.

Auch die sozialen Netzwerke werden für den Wahlkampf intensiv genutzt, allen voran Facebook, Twitter und Instagram. Im Vergleich zur vergangenen Bundestagswahl habe sich die Medienarbeit der Parteien insgesamt weiter professionalisiert, so Anastasiadis. Für die Politik gibt es viele Vorteile. „Social Media eignet sich besonders deswegen als Wahlkampfmittel, weil es kostengünstig ist und eine hohe Reichweite hat. Das ist über keinen anderen Kanal so gut möglich“, erklärt Pöschl. Als Politiker dürfe man allerdings nicht den Fehler machen, die Nutzer über diese Kanäle lediglich zu bespaßen. „Junge Wähler suchen auch dort nach handfesten Informationen“, betont Pöschl.

Vielfältiges Angebot im Internet

Tavenrath sucht bei Facebook zunächst nach der SPD Bonn. Direkt auf die Internetseite einer Partei zu gehen, wäre ihr zu viel Information für einen ersten Überblick, so die Studentin. Während Tavenrath über die Seite scrollt, fällt ihr Blick auf ein Video. Zu sehen ist ein junger Mann vor dem Bonner Bahnhofsgebäude „Oh, den kenne ich sogar. Der studiert mit mir“, sagt sie und scrollt weiter – und weiter, und weiter. Nachdem einige Fotos, Wahlplakate und Wortbeiträge über den Bildschirm gehuscht sind, klickt sie auf ein Video, das sie auf die Internetseite des WDR-Kandidatenchecks führt. „Den hätte ich auch als nächstes aufgerufen, den kenne ich noch von der Landtagswahl“, erzählt sie.

Das erste Fazit: „Wenn man sich das so ansieht, ist es eigentlich kein richtiger Wahlkampf. Die andere große Partei wird nur schlechtgemacht. Hier ein Video zum SPD-Kandidaten, dann aber ein angeblich schlechtes Wahlplakat der CDU und dann ein Beitrag, wo eine Äußerung der CDU zum Diesel-Skandal schlechtgeredet wird.“ Sie habe den Eindruck, die Parteien wüssten schon, wie die Wahl ausgehen wird. „Anscheinend ist es für sie nicht nötig, einen Wahlkampf zu führen.“

Dann klickt sie auf die zweite geöffnete Internetseite: der WDR-Kandidatencheck. Dabei gefällt ihr, dass jede Partei „die gleiche Bühne und die gleichen Chancen“ bekommt. Tavenrath guckt sich alle Videos der Bonner Kandidaten an, in denen diese in der gleichen Zeit die gleichen Fragen beantworten. Neben den Videos werden noch weitere Links angezeigt. Bei einem bleibt sie hängen: „Abgeordnetenwatch, was ist das denn?“ Eine Mausbewegung später erscheinen Infos über die Kandidaten der einzelnen Wahlkreise, deren berufliche Tätigkeit und ihre Meinung zu verschieden Fragen und Themen.

Mittlerweile reihen sich vier geöffnete Internetauftritte auf Tavenraths Laptop nebeneinander: die Facebookseite der Grünen in Bonn, der WDR-Kandidatencheck, abgeordnetenwatch.de und der Wikipediaauftritt von einem der Bonner Kandidaten. Als Zugezogene kennt Tavenrath nur wenige der Gesichter, für die sie in wenigen Tagen ihr Kreuz setzten soll. „Gibt es noch Alternativen zum Wahl-O-Mat?“, fragt sie und gibt in die Suchleiste „Bundestagswahl 2017 Entscheidungshilfe“ ein. Das Ergebnis: unzählige Seiten, die zum Angebot der bpb führen.

Auch Apps können bei der Entscheidung helfen

Wer sich nicht ausschließlich anhand von Internetseiten informieren möchte, kann auch auf einige Anwendungen für sein Smartphone zurückgreifen. Zum Beispiel mit dem WahlSwiper: Eine App, bei der man ebenfalls Fragen beantwortet und so einen angepassten Parteivorschlag bekommt – eine weitere Alternative zum Wahl-O-Mat. Als Tavenrath in ihrem Handy nach der App sucht, fängt sie an zu lachen. Direkt unter der gesuchten Anwendung lächelt sie das Gesicht der Kanzlerin an: „Die Merkel-App, was ist das denn?“ Tavenraths Interesse ist geweckt.

Sie folgt den Anweisungen und hält ihr Handy mit der geöffneten Anwendung vor ein aktuelles Wahlplakat der CDU, das sie vorher im Internet rausgesucht hatte. Plötzlich scheint das Gesicht auf dem gescannten Plakat „lebendig“ zu werden und Angela Merkel beginnt zu sprechen. Eine Videobotschaft, die den Nutzer von der CDU überzeugen soll. „Das ist seltsam und lustig zugleich“, sagt Tavenrath. Aber wirklich informativ sei es nicht. Genauso sieht es Pöschl: „Solche Apps sind sicherlich sinnvoll, um die Aufmerksamkeit von jungen Wählern zu generieren. Fundierte Informationen vermitteln sie allerdings nicht.“

Nach dreistündiger Suche im Netz ist eine klare Entscheidung für Tavenrath noch lange nicht in Sicht. „Wahrscheinlich wird es die auch erst an dem Tag geben, an dem ich mein Kreuzchen setze. Es bleibt eine Bauchgefühlentscheidung.“

Aber zumindest ihr Gewissen konnte sie etwas beruhigen, denn sie hat sich intensiv mit den Parteien auseinandergesetzt. „Wenn ich nicht weiß, wen ich wählen werde, ist es meine Pflicht, mich zu informieren.“ Für sie hänge das direkt mit dem Grundrecht zum Wählen zusammen.

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