Mehr ältere Menschen treten aus Alarm in den Kirchen

BERLIN · In den ersten Monaten dieses Jahres haben auffällig viele Menschen über 65 ihren Austritt aus der Kirche erklärt. Damit verlieren die Kirchen vor allem jene Mitglieder, die ihnen bisher am längsten die Treue gehalten haben. Den Trend gibt es bundesweit.

Das Bistum Rottenburg-Stuttgart hat nun als erste Diözese in Deutschland konkrete Zahlen vorgelegt. Im Jahr 2013 waren demnach 2,92 Prozent der Menschen, die ihren Austritt erklärt haben, über 65 Jahre alt. 2014 hat sich der Anteil der Menschen im Rentenalter unter den Ausgetretenen mindestens verdoppelt. Eine Sprecherin sagte unserer Zeitung: "Im Mai waren 8,23 Prozent der Ausgetretenen älter als 65." Im April lag der Wert bei 7,44 Prozent, im Juni bei 7,29 Prozent. Im ersten Quartal waren die Werte ähnlich.

Gerade im vergleichsweise wohlhabenden Südwesten dürften in dieser Altersgruppe besonders viele Sparer sein. Offensichtlich sind viele ältere Menschen in Aufruhr, weil sie befürchten, bei der Kirchensteuer auf Zinsen und andere Kapitalerträge ab 2015 stärker zur Kasse gebeten zu werden.

Diese Sorge ist aber unberechtigt. Der Chef der Steuergewerkschaft, Thomas Eigenthaler, klärt auf: "Dabei handelt es sich um keine neue Steuerpflicht." Es werde lediglich ein neues automatisches Verfahren für die Erhebung der Kirchensteuer auf Zinsen eingeführt. Der Reihe nach: Auf Zinsen müssen schon länger Steuern gezahlt werden. Seit 2009 fallen 25 Prozent sogenannte Abgeltungssteuer an, die die Bank an der Quelle einbehält und anonym ans Finanzamt abführt. Seitdem wird auch der Solidaritätszuschlag fällig - 5,5 Prozent auf die Abgeltungssteuer. Seither müssen Kirchenmitglieder auch Kirchensteuer auf ihre Zinsen zahlen. Nur: Bislang konnten Sparer ihrer Bank die Kirchenmitgliedschaft verschweigen und kamen so darum herum, Kirchensteuer auf Zinserträge zu zahlen. Das geht durch das neue automatische Verfahren ab 2015 nun nicht mehr.

Bei der Kirchensteuer auf Kapitalerträge läuft es im Prinzip genauso wie bei der Kirchensteuer auf den Lohn: Der Satz liegt bei acht Prozent in Bayern und Baden-Württemberg, sonst bei neun Prozent. Und: Er wird auf die Abgeltungssteuer angewendet. Also nicht auf die Zinsen selbst. Das ist ganz wichtig: Bei einem Kirchensteuersatz von acht Prozent ergibt sich durch die Kirchensteuer eine zusätzliche Belastung von zwei Prozentpunkten. Mehr nicht.

Wer also 1000 Euro Zinsen versteuert, zahlt 250 Euro Abgeltungssteuer, 13,75 Euro Soli und 20 Euro Kirchensteuer. Hinzu kommt: Der Sparerfreibetrag liegt bei 801 Euro bei Ledigen. In der Niedrigzinsphase muss man schon sehr viel Geld anlegen, um über diese Schwelle zu kommen.

Viele Sparer haben offensichtlich die Mitteilung ihrer Banken über das neue Verfahren nicht verstanden, waren verärgert. Etliche traten aus. Banken und Kirchen streiten sich seither, wer die Verantwortung für die schlechte Öffentlichkeitsarbeit trägt. Gewerkschaftschef Eigenthaler appelliert an Banken und Kirchen, Vernunft walten zu lassen: "Das Gezerre verunsichert die Steuerzahler und trägt die Probleme unnötigerweise ins Finanzamt."

375 000 Sparer haben bislang von der Gelegenheit Gebrauch gemacht, einen Sperrvermerk in der Sache zu setzen. Dies bedeutet, ihre Bank kann nicht bei der Datenbank des Bundeszentralamts für Steuern abfragen, ob der Kunde kirchensteuerpflichtig ist. Um die Kirchensteuer herum kommt der Betreffende so aber nicht. Damit wandert sein Fall nämlich an das Finanzamt des Anlegers. Es ist dann dafür zuständig, bei dem Steuerpflichtigen nachzuhaken und für die ordnungsgemäße Begleichung der Kirchensteuer zu sorgen.Mancher Steuerpflichtige, der einen Sperrvermerk gesetzt hat, dürfte dies noch bereuen. Ein Experte aus der Finanzverwaltung: "Wer so handelt, stößt das Finanzamt geradezu auf seine Akte. Er macht aus dem anonymen Verfahren der Abgeltungssteuer ein öffentliches Verfahren. Erfahrungsgemäß machen Sachbearbeiter dabei immer wieder tolle Zufallsfunde."

Steuer auf Zinsen

Kirchensteuer muss bereits heute auf Zinsen und andere Kapitalerträge gezahlt werden. Der Satz beträgt neun Prozent in fast allen Bundesländern. Acht Prozent sind es in Baden-Württemberg und Bayern. Aber nicht auf die Zinsen, sondern lediglich auf die Steuern von 25 Prozent, mit denen die Zinsen belastet sind. Beispiel: Wer im Südwesten 1000 Euro Zinsen versteuert, zahlt 250 Euro Steuern an den Staat und 20 Euro Steuern an seine Kirche. Der Fiskus treibt für die Kirchen die Kirchensteuer nicht gratis ein. Je nach Bundesland und Verhandlungsgeschick der Kirchen variieren die Sätze zwischen zwei und 4,5 Prozent.

Die Kirchen nehmen über die Kirchensteuer Milliarden ein. 2013 kassierte die katholische Kirche bundesweit 5,46 Milliarden Euro, die evangelische Kirche kam auf 4,84 Milliarden Euro.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Das plant Putin nach der Wahl
Nach Präsidentschaftswahl Das plant Putin nach der Wahl
Zum Thema
Aus dem Ressort